Pressespiegel 2023
|
Am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus wurden zum
Abschluss Kränze niedergelegt. |
|
Am Gedenkstein für die Synagoge begrüßte Detlev Paul vom
Friedensplenum die Teilnehmer. |
Iserlohner Kreisanzeiger, 10.11.2024
Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt
150 Menschen bei der Gedenkveranstaltung zum 9. November
Jennifer Katz
Iserlohn. Dass am Abend des 9. November der Opfer des
Nationalsozialismus gedacht wird, hat in Iserlohn bereits eine lange
Tradition. In diesem Jahr stand die Veranstaltung auch im Zeichen des
Nahost-Konflikts, was nicht nur an der erhöhten Polizeipräsenz und der
mit 150 Teilnehmern großen Resonanz sichtbar wurde, sondern auch in den
Ansprachen.
Am Gedenkstein für die vor 85 Jahren zerstörten Synagoge
an der Mendener Straßew hatten sich am Donnertsgabend Mitglieder der
Ratsfraktionen, der Verwaltung und der Kirchen, Bürgerinnen und Bürger
sowie Vertreterinnen und Vertreter des Friedensplenums als Organisatoren
sowie Bürgermeister Michael Joithe zusammengefunden. Am Saxophon
begleitete Ole Maurits Schnettker von der Musikschule Iserlohn das
Gedenken. Gleich zu Beginn, als Detlev Paul vom Friedenplenum sprach,
kam es kurz zu einer Störung durch einen jungen Mann, der dann von
Polizeibeamten in Richtung Fußgängerzone wegbegleitet wurde.
"Jeden Tag aufs Neue für unseren Rechtsstaat eintreten"
Joithe erinnerte zunächst an die Gräueltaten in der Nacht vom 9. auf den
10. November 1938 und die Folgezeit. "Keiner von uns war damals dabei,
doch die Verantwoprtung für dieses Erbe bleibt. Dass damals so viele
weggeschaut haben oder tatenlos zugeschaut haben, erfüllt uns zu Recht
heute mit Scham", erklärte er. Beim Blick auf die aktuellen Nachrichten
werde mehr als deutlich, dass "auch und gerade heute ein Gedenken an das
Inferno sinnvoll und leider immer noch nowendig ist". Die Ereignisse des
9. Novembers zeigten, "dass Rechtsstaat und Demokratie keine
Errungenschaften sind, die einmal erworben werden und dann
selbstverständlich sind". Joithe weiter: "Wir sind alle aufgerufen,
jeden Tag aufs Neue für unseren Rechtsstaat einzutreten." Heute müssten
alle gemeinsam allen Formen von Juden-Feindschaft und Antisemitismus,
jeder Art von Diskriminierung und Ausgrenzung entschieden
entgegentreten. "Erst sind es Worte, und dann folgen Taten. Beziehen Sie
Position, zeigen Sie klare Kante, machen Sie sich stark für Toleranz,
Respekt und Mitgefühl", appelierte der Bürgermeister. "Unfassbar" sei
es, dass Antisemitismus in Deutschland wieder auf dem Vormarsch sei,
verstärkt durch den Nahost-Konflikt. "Frieden werden wir niemals durch
weitere Kriege erreichen."
Burckhardt Hölscher, Pfarrer im Ruhestand,
hielt die zweite Ansprache, bei der er an zwei Verse aus Psalm 74
erinnerte, die Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer in der Pogromnacht
in der Bibel unterstrichen hatte: "Sie verbrennen alle Häuser Gottes in
dem Lande!" und "Kein Prophet ist mehr da und keiner ist bei uns!"
Hölscher machte deutlich: "Wenn wir hier der Reichspogromnacht und ihrer
Opfer in Iserlohn gedenken, dann erinnern wir auch an das Versagen der
christlichen Kirche. Ich tue das mit Reue." Und er betonte: "Jede
Gedenkveranstaltung ist immer auch Teil unserer Arbeit, ja unseres
Kampfes dafür, dass in unserem Volk nie wieder eine menschenverachtende,
gottlose Ideologie die Oberhand gewinnt, die Menschen zum Hass und zur
Ausgrenzung aufhetzt, ihnen einen Stolz und ein Überlegenheitsgefühl
einzureden versucht, das darauf angewiesen ist, andere schlecht zu
machen; da wird die Kraft, die in jedem Menschen ist, zu einer
teuflichen Kraft des Verderbens!"
Vom Gedenkstein durch die Stadt bis zum Mahnmal
Nachdem die Teilnehmer Steine auf den Gedenkstein gelegt hatten,
startete der Marsch vorbei an den Stolpersteinen in der Innenstadt,
bevor am Mahnmal am Poth Kränze niedergelegt wurden. Dort sorgte die
Gruppe "PAX" für die Musik, Jörg Simon vom Jugendamt erläuterte noch
einmal die Geschichte der Stolpersteine.
Nachgedacht
"Nie wieder"
Jennifer Katz über die Gedenkveranstaltung
"Klare Kante zeigen" - das forderte Michael Joithe am Donnerstagabend
bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Und
genau das haben der Bürgermeister und Burckhard Hölscher mit ihren
Worten geschafft. "Tolle Reden", war von vielen anschließend zu hören.
Denn dass der im Ruhestand befindliche Pfarrer Hölscher kein Blatt vor
dem Mund genommen hat, was das Versagen der christlichen Kirche in der
NS-Zeit betrifft, beeindruckte ebenso wie die aktuelle "große teufliche
Gefahr innerhalb der Religionen", die er thematisierte und anprangerte.
Joithe betonte eindringlich, dass "antisemitischen und jeder Form von
rassistischen Ressentiments kein Platz in unserer Gesellschaft geboten
werden darf." Keiner dürfte schweigend den Kopf zur Seite drehen. Die
Ereignisse der grausamen Pogrome dürften sich niemals wiederholen. "Nie
wieder", schloss der Bürgermeister. Und gerade dieses "Nie wieder" ließ
so manchen schlucken, bevor es Applaus gab - was sich zwar aufgrund des
Gedenkens zunächst unpassend anfühlte, aber dann doch unterstrich, was
Anwesende empfunden haben, die gemeinsam ein Zeichen für die Hoffnung
auf Frieden und gegen jede Form von Hass, Intoleranz und Gewalt setzen
wollten.
Iserlohner Kreisanzeiger, 08.11.2023
Reinigungsaktion gegen das Vergessen
|
Die Mitglieder des Friedensplenums bringen die Stolpersteine
in der Innenstadt wieder zum Glänzen. Michael May |
Wenige Tage vor dem Gedenktag zur Reichspogromnacht reinigt das
Friedensplenum Stolpersteine
Jennifer Theis
Iserlohn Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht zum 85. Mal.
In dieser Nacht wurden in ganz Deutschland Synagogen in Brand gesetzt,
darunter auch die Synagoge an der Mendener Straße. Um den Opfern des
Nationalsozialismus zu gedenken und ein Zeichen für Toleranz zu setzen,
findet auch in diesem Jahr die Gedenkveranstaltung ab 18 Uhr am
Gedenkstein der Synagoge statt.
Im Vorfeld reinigten einige Vertreter des Friedensplenums gemeinsam
die Stolpersteine in der Iserlohner Innenstadt. Sie halten die
Erinnerung an die jüdischen Nachbarn, die durch das NS-Regime umgekommen
sind, das ganze Jahr über wach. „Wir reinigen die Stolpersteine immer
wenige Tage vor der Veranstaltung, damit sie wieder glänzen“, erklärte
Alexander Platte vom Friedensplenum.
Gestartet ist das Team am Alten Rathausplatz und hat dort die ersten
Steine geputzt. Ausgerüstet mit Bürsten, Schwämmen und Reinigungsmitteln
polierten sie weitere Stolpersteine an der Wermingser Straße. Dabei
berichtete Platte von der Putzaktion in Letmathe, die sie im Januar
dieses Jahres erstmals ins Leben gerufen hatten.
Weitere Aktionen geplant
Anlässlich des Tag des
Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar hat das
Friedensplenum die Stolpersteine in Letmathe gemeinsam mit dem
Heimatverein gereinigt. „Wir freuen uns, dass diese Aktion entstehen
konnte und möchten das im nächsten Jahr wiederholen“, verriet Alexander
Platte. Dann ist auch eine Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und
Schülern des Friederike-Fliedner-Berufskollegs geplant, die das Team
unterstützen werden.
Die zehn neuen Stolpersteine, die erst vor wenigen Tagen verlegt
worden sind, sollen im nächsten Jahr gereinigt werden.
|
Moderatorin Annegret Simon (vorne) richtete bewegende Worte
an die Gäste. |
|
James Schultz-Anspacher (Mitte), Tochter Schyler und Ehefrau
Dr. Susan Shachner-Schultz tragen sich ins Goldene Buch ein.
Dennis Echtermann |
Iserlohner Kreisanzeiger, 28.10.2023
Friedensappell am Ende eines besonderen Tages
Die Abendveranstaltung nach der Stolpersteinverlegung steht
unter dem Eindruck des Krieges im Nahen Osten
Iserlohn Der Eintrag von James Schultz-Anspacher und seiner Familie ins
Goldene Buch der Stadt war am Donnerstag der Höhepunkt der
Abendveranstaltung zur Stolperstein-Verlegung, aber nicht der einzige in
der Städtischen Galerie.
Moderatorin Annegret Simon erinnerte an die Anfänge der Friedensbewegung
in Iserlohn und wandte sich mit bewegenden Worten an die rund 100
geladenen Gäste: „1982 sind wir schon marschiert – und jetzt stehe ich
hier und es ist wieder Krieg. Es ist unbegreiflich“, so Simon. Sie habe
sich nicht träumen lassen, dass ein Krieg im Nahen Osten wieder Realität
werden könne. Umso wichtiger sei es nun, ein Zeichen zu setzen für
Frieden, Freiheit, Menschlichkeit und Demokratie – über Religions- und
Ländergrenzen hinweg, sagte Annegret Simon und schloss so den Bogen zum
Anlass, der Verlegung von zehn neuen Stolpersteinen in der Stadt.
Bürgermeister Michael Joithe wählte den Anlass, um an den kürzlich
verstorbenen früheren Stadtarchivar Götz Bettge zu erinnern, einen Mann,
der wie kein anderer mit der Geschichte Iserlohns verbunden gewesen sei.
Auch ihm wolle man ein würdiges Andenken bereiten, denn: „Ein Mensch ist
erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, erinnerte Joithe an ein
Zitat aus dem Talmud, das sich der Künstler Gunter Demnig, der „Vater
der Stolpersteine“, als Inspiration gewählt hatte. Auch heute würden
Menschen diskriminiert und ausgegrenzt, die Botschaft der Stolpersteine
sei deshalb aktueller denn je. „Bei uns müssen alle Menschen frei und
sicher leben können. Wir müssen sensibilisiert werden, wenn
Menschlichkeit und Demokratie in Gefahr geraten.“
Rico Quaschny, Leiter des Stadtarchivs, schilderte den Leidensweg der
Kaufmannsfamilie Ehrlich – von angesehenen und integrierten Mitgliedern
der Iserlohner Gesellschaft zu ausgestoßenen und entrechteten Menschen,
deren Leben nichts zählt. Im Fall von Martha Giebe sei es ihrem
Großneffen James Schultz-Anspacher zu verdanken, dass inzwischen mehr
über das Leben „der Frau von Willy Giebe“ bekannt sei und sie somit auch
selbst ein Gesicht und damit ein würdiges Andenken bekommen habe.
Grüße von Gunter Demnig, dem „Vater der Stolpersteine“
Katja Demnig überbrachte die Grüße ihres 76-jährigen Ehemanns Gunter und
freute sich in ihrer Rede darüber, dass die rund 130.500 Stolpersteine
in 31 Ländern inzwischen das größte dezentrale Mahnmal der Welt seien.
„Wer hätte vor 30 Jahren, als mein Mann die ersten Steine noch illegal –
das heißt ohne Erlaubnis der Behörden – verlegt hat, damit gerechnet,
dass das Ganze einmal so groß wird?“ Anfangs seien dem Künstler jede
Menge „Stolpersteine“ in den Weg gelegt worden, aber seine
Hartnäckigkeit und sein Ehrgeiz hätten sich ausgezahlt. „Wir sind bei
jeder Verlegung vor Ort. Das ist für uns keine Routine, denn jeder Stein
erinnert an ein persönliches Schicksal.“
James Schultz-Anspacher bedankte sich für die große Gastfreundschaft und
Freundschaft, die er in Iserlohn erfahren habe. Der Gedenkstein für
seine Tante gebe ihm das Gefühl, „alles dafür getan zu haben, ihr ein
würdiges Andenken“ zu bewahren. Er habe das Gefühl, dass sei er Martha
Giebe wie auch seiner Mutter schuldig gewesen. Auch die Paten der
Stolpersteine, Schüler der Realschule am Hemberg, vom
Friederieke-Fliedner-Berufskolleg und das Friedens-Plenum Iserlohn,
kamen zu Wort. Der Werkschor Auerweg unter der Leitung von Ralf Tiemann
sorgte mit Stücken von Rio Reiser und dem traditionellen „Die Gedanken
sind frei“ für den überaus passenden musikalischen Rahmen des Abends.
mmb
Iserlohner Kreisanzeiger, 28.10.2023
|
James Schultz-Anspacher (3. v. li.) und seine Tochter
Schyler (4. v. li.) stellten sich im
Friederike-Fliedner-Berufskolleg den Fragen der Schülerschaft.
Miriam Mandt-Böckelmann |
|
„Habt ihr Diskriminierung erfahren?“, wollte
Schultz-Anspacher wissen, woraufhin dieser Schüler seine
Erlebnisse schilderte. |
Diskriminierung ist überall – gestern und heute
Nach der Stolpersteinverlegung haben die Schüler viele Fragen
Miriam Mandt-Böckelmann
Iserlohn Wie sehr die Schatten der Vergangenheit auf der Gegenwart
liegen, weil unmenschliches Verhalten, Diskriminierung und Ausgrenzung
auch heute noch – 78 Jahre nach dem Ende des Holocaust – zum Leben
vieler Menschen gehören, wurde beim Zeitzeugengespräch deutlich, zu dem
James Schultz-Anspacher und seine Familie am Freitag ins
Friederike-Fliedner-Berufskolleg (FFBK) gekommen waren. Nach der
Stolpersein-Verlegung (wir berichteten) und dem abendlichen Festakt
(siehe unten) stellte sich die Familie aus New York den zahlreichen
Fragen der Schülerinnen und Schüler des Anne-Frank-Projektkurses am FFBK
und von zwei neunten Klassen der Realschule am Hemberg.
„Alle sollen miteinander reden und ins Gespräch kommen, Grammatik spielt
da keine große Rolle. Traut euch, Fragen zu stellen“, betont Lehrer Tom
Labern. Eine Ermunterung, die es so gar nicht bedurft hätte: Echtes
Interesse am Leben des Großneffen von Martha Giebe, der Frau des
Iserlohner Kino-Besitzers Willy Giebe, ist spürbar. Schultz-Anspacher
erzählt auf Deutsch von „Tante Martha“: „Sie war eine freundliche und
liebevolle Frau. Sie genoss es, Kinokarten zu verkaufen und so die
Menschen in der Stadt, die sie liebte, mit auf eine Fantasie-Reise zu
nehmen“, so der 72-jährige Amerikaner. Er sei dankbar für viele schöne
Erinnerungen an eine bemerkenswerte Frau. „Tante Martha hat meiner
Mutter viele schöne Stunden bereitet, wenn sie aus Iserlohn zu Besuch
war.“
Martha Giebe vertraute auf ihr Versteck – und wurde verraten
Doch während Schultz’ Mutter 1938 nach vielen unerträglichen Erfahrungen
schließlich vor den Nazis aus ihrer Heimatstadt Bremen in die USA floh,
vertraute Martha Giebe auf ihr Versteck in Willy Giebes Heimatstadt
Einbeck – doch sie wurde verraten und ermordet.
„Wie ist es Ihrer Mutter in den USA ergangen?“, wollen die Schüler
wissen. Schultz-Anspacher berichtet von schweren Anfangsjahren für die
junge Frau in dem fremden Land: „Sie hatte in jungen Jahren viel
Schlimmes erlebt und das konnte sie nicht einfach vergessen. Außerdem
war sie deutsch – und die USA führten Krieg gegen Deutschland. Sie wurde
oft für eine Spionin gehalten und erlebte anfangs auch in ihrer neuen
Heimat oft Diskriminierung – aufgrund ihrer Herkunft oder Religion“, so
Schultz. Die Reaktion seiner Mutter: „Sie passte sich an und versuchte
nicht aufzufallen. Auch meine Schwester und mich hat sie so erzogen“,
erinnert er sich. „Wir haben immer den Kopf eingezogen und sind
Konflikten aus dem Weg gegangen.“
„Ist ihre Mutter jemals wieder nach Deutschland zurückgekommen?“, lautet
eine Frage. Die Antwort, ehrlich, aber direkt: „Meine Mutter hat
Deutschland gehasst. Zu viele Familienmitglieder sind ermordet worden,
das konnte sie nicht vergessen.“ Lediglich nach dem Tod ihres Vaters
habe sie eine Ausnahme gemacht und das Land besucht. Aber: „Trotz allem
wollte unsere Mutter ihre Kinder nicht beeinflussen. Meine Schwester und
ich haben deutsche Lieder gesungen und sind nach Deutschland gefahren.“
Der erste Schritt zur Versöhnung sei gemacht worden.
Schyler Schultz spricht den jungen Leuten aus der Seele
Schultz erzählt vom Leben als gläubiger Jude in den USA: „Die Leute
halten Amerika für ein sehr freies Land, aber es ist nicht so. Es gibt
viel Ausgrenzung und Diskriminierung. Diese ist nicht angeboren, sie
wird gelernt – heute wie damals“, sagt er.
Dann ergreift mit zitternden Händen Tochter Schyler Schultz das Mikro:
In bewegenden Worten erzählt die 20-Jährige, wie sie selbst – mitten im
als sonst so liberal geltenden New York – zum Opfer von Diskriminierung
und Gewalt wurde, weil sie sich öffentlich zu ihrer Transidentität
bekennt. „Ich habe nichts falsch gemacht“, sagt sie. „Mein einziger
Fehler ist, dass ich existiere.“
Betretenes Schweigen, dann großer Applaus. Das Beispiel der jungen Frau
zeigt: Ausgrenzung hat viele hässliche Gesichter – und sie ist überall.
„Wer von euch hat schon mal Diskriminierung erlebt?“, will
Schultz-Anspacher von den Schülerinnen und Schülern wissen. In der
Turnhalle gehen viele Arme nach oben. Eine Schülerin zeigt auf ihr
Kopftuch und sagt: „Als ich mich entschieden habe, den Hidschab zu
tragen, habe ich dafür viel Kritik bekommen. Das war eine schwere Zeit.“
Ein junger Mann berichtet, dass er immer wieder aufgrund seiner
Hautfarbe gemobbt werde. Es gibt viele persönliche Geschichten – und die
traurige Gewissheit: Es hört nie auf, es gibt noch viel zu tun.
Iserlohner Kreisanzeiger, 27.10.2023
|
Peter May vom SIH verlegte die Steine mit viel Liebe zum
Detail. Das wurde von allen Beteiligten geschätzt. Michael May |
|
Marie Fesser (vorne) von der Gedenkstätten-AG der Realschule
am Hemberg trug Einzelheiten zum Leben der Familie Ehrlich vor. |
|
Insgesamt zehn neue Stolpersteine wurden verlegt. Hier die
Erinnerung an Familie Ehrlich in der Gartenstraße 42. |
Gegen die Stille der Betroffenheit
Zehn neue Stolpersteine halten die Erinnerung an die jüdischen
Mitbürger wach, die von den Nazis verfolgt wurden
Miriam Mandt-Böckelmann
Iserlohn Rote Rosen auf dem Gehweg an der Hans-Böckler-Straße 18, am
Standort der ehemaligen „Villa Giebe“ in Höhe der Schauburg: Darunter –
eingelassen in die Gehwegplatten – zwei glänzende bronzene
Pflastersteine. Als sogenannte Stolpersteine sollen sie in der Tradition
ihres Initiators, des Künstlers Gunter Demnig, seit 2006 auch in
Iserlohn die Erinnerung an die Opfer des Holocaust lebendig halten.
20 Stolpersteine gibt es bereits, am Donnerstag sind zehn weitere
Erinnerungsorte in der Innenstadt hinzugekommen.
Als Mahnung an die Lebenden schaffen sie den Spagat zwischen damals und
heute: „Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, er stifte Frieden
unter uns und ganz Israel, sprecht Amen“, liest James Schultz, der
Großneffe von Martha Giebe, der zusammen mit ihrem Mann Willy, dem
„Kino-König aus dem Sauerland“, an dieser Stelle gedacht wird, aus dem
Kaddisch, dem jüdischen Totengebet, vor. Schultz ist mit seiner Frau
Susan Shachner-Schultz und Sohn Schyler für die Verlegung aus dem New
Yorker Stadtteil Brooklyn in die Waldstadt gereist: „Es war mir ein
großes Anliegen, dass ein Stolperstein an meine Tante Martha erinnert,
und ich bin sehr dankbar, dass ich in der Stadt bei Jörg Simon vom
erzieherischen Kinder- und Jugendschutz auf so große Unterstützung
gestoßen bin“, erzählt der 72-Jährige, dessen Mutter 1938 aus Bremen in
die USA emigriert ist und so dem Schicksal von Martha Giebe entging, die
in ihrem Versteck in Willy Giebes Heimatstadt Einbeck verhaftet und im
Herbst 1943 in das KZ Auschwitz deportiert wurde, wo man sie am 6.
Dezember 1943 ermordete.
Absage der Reise kam für die Familie nicht in Frage
Auf die Reise habe er sich schon lange vorbereitet, eine Absage aus
Angst aufgrund der angespannten Weltlage sei für ihn deshalb auch nicht
in Frage gekommen: „Das bin ich meiner Großtante schuldig. Der
Stolperstein zeigt, dass sie nicht vergessen ist und soll eine Mahnung
sein, dass so etwas nie wieder passieren darf“, so James Schultz.
Natürlich habe man sich im Vorfeld Gedanken im Planungsteam gemacht, ob
und wie man die Sicherheit der Veranstaltung gewährleisten könne,
berichtet Jörg Simon. „In Zusammenarbeit mit der Kreispolizeibehörde
haben wir Maßnahmen getroffen. Auch am Abend wird die Polizei zum
Beispiel Kontrollfahrten entlang der Stolpersteine unternehmen, damit
diese unversehrt bleiben“, so der Organisator. Simon begrüßte die
Anwesenden zu einem „denkwürdigen und bewegenden Moment für die Stadt
Iserlohn“ – und das spiegelte auch die sehr gelungene respektvolle
Gedenkveranstaltung wider, an der zahlreiche Beteiligte mitwirkten.
Den Anfang machten die Schülerinnen und Schüler der Realschule am
Hemberg, die vor dem Haus Gartenstraße 42 an das Ehepaar Salomon und
Regina Ehrlich (geb. Schwarz) sowie ihren Sohn Siegfried und dessen Frau
Helene (geb. Boog) erinnerten und passend zur Verlegung der vier
Stolpersteine wichtige Stationen aus dem Leben der bekannten Iserlohner
Kaufmannsfamilie vortrugen. Regina Ehrlich starb vermutlich 1942 während
der Deportation nach Minsk, ihr Ehemann Salomon starb entrechtet und
gedemütigt im Alter von 78 Jahren in Iserlohn an Krebs. Sohn Siegfried
Ehrlich starb nach Zwangsarbeit im KZ Sachsenhausen unter unbekannten
Umständen am 6. März 1954 in Berlin. Seine Frau Helene Ehrlich war
evangelisch und wurde aufgrund der sogenannten Mischehe mit einem Juden
ausgegrenzt und drangsaliert. „Aber sie überlebte, 1946 heiratete sie
erneut“, trug Marie Fesser stellvertretend für die Gedenkstätten-AG vor.
Die Realschule hat außerdem die Patenschaft für die Stolpersteine in der
Gartenstraße übernommen.
Katja Demnig, die für die Stiftung „Spuren“ an den
Stolperstein-Verlegungen in ganz Deutschland teilnimmt und so die Idee
ihres Mannes wachsen lässt, freute sich besonders über die Anwesenheit
von vielen jungen Leuten: „Das Motto unserer Stiftung ist: Raus aus der
Schule, klappt die Bücher zu und erfahrt Geschichte im echten Leben“, so
Demnig, die – anders als sonst durchaus üblich – in Iserlohn bei der
Verlegung nicht selbst zum Werkzeug greifen musste.
Peter May verlegt die Steine mit viel Liebe zum Detail
Diese Aufgabe übernahm Peter May vom SIH – und er tat es mit besonders
viel Hingabe, Können und Liebe zum Detail. „Es freut mich zu sehen, wie
ernst er diese Aufgabe nimmt – das ist für mich ein Zeichen der
Wertschätzung und dafür bin ich ihm dankbar“, sagte James Schultz.
Ebenfalls an Mitglieder der Familie Ehrlich erinnern künftig die beiden
Stolpersteine auf dem Gehweg vor dem Haus Wasserstraße 2a: Dort lebten
Walter und Hedwig Ehrlich (geb. Fels) mit ihren Kindern Heinz Richard
und Kurt Günter. 1939 zog die Familie nach Köln, von wo sie 1942 nach
Minsk deportiert wurden.
Emily Katz vom Anne-Frank-Projekt-Kurs des
Friederike-Fliedner-Berufskollegs trug den Poetry-Slam „Vergiss mein
Nicht!“ vor: „Wir wollen, dass Ihr aufschreit gegen die furchtbare
Stille der Betroffenheit, damit sich das Schlimme nicht wiederholt“, so
Emily Katz.
Iserlohner Kreisanzeiger, 27.10.2023
Zehn
neue Stolpersteine für Iserlohn
Bei der Verlegung von zehn neuen Stolpersteinen an drei Standorten in
der Iserlohner Innenstadt verlas James Schultz (vorne), Großneffe von
Martha Giebe, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurde, das
traditionelle jüdische Totengebet Kaddisch. Der New Yorker hatte sich an
die Stadt gewandt und so den Prozess der Denkstein-Legung für seine
Großtante in Gang gebracht. Zusammen mit seiner Familie nahm der
72-Jährige am Donnerstag mit zahlreichen interessierten Iserlohnerinnen
und Iserlohnern an der feierlichen Verlegung teil.
Iserlohner Kreisanzeiger, 14.10.2023
Ein
Zeichen gegen den Terror
Der Alte Rathausplatz füllte sich am späten Freitagnachmittag recht
spontan mit rund 100 Leuten. Grund war die Mahnwache anlässlich der
Terror-Angriffe in Israel, organisiert vom Friedensplenum Iserlohn.
Dessen Vertreter Detlev Paul, Bürgermeister Michael Joithe,
Superintendentin Martina Espelöer und Ghfoor Awarahman, der vor fünf
Jahren kirchliches Asyl suchte, um dem Krieg im Irak zu entkommen,
nutzten den Anlass, um die Angriffe scharf zu verurteilen. Sie hoffen
auf Frieden, damit nicht noch mehr Menschen ihr Leben verlieren müssen.
Sie waren sich alle einig: Die Waffen müssen niedergelegt und auf eine
Deeskalation hingearbeitet werden.kev
Iserlohner Kreisanzeiger, 13.10.2023
Kundgebung gegen Krieg und Terror
„FriedensPlenum“ ruft auf, Evangelischer Kirchenkreis
unterstützt
Iserlohn Das „FriedensPlenum“ Iserlohn ruft an diesem Freitag um
17 Uhr zu einer Kundgebung auf dem Alten Rathausplatz unter dem Motto
„Nein zum Terror! Gedenken an die getöteten zivilen Opfer. Wege zu
Frieden und Verständigung im Palästinakonflikt suchen“ auf.
Das
„FriedensPlenum“ ist laut eigener Mitteilung besonders erschüttert
davon, dass Gäste eines friedlichen Konzertes durch Terroristen der
Hamas getötet, verletzt und verschleppt worden sind. Bürgermeister
Michael Joithe, Vertreter von Parteien und Kirchen sind um Redebeiträge
gebeten worden. „Als Friedensgruppe bitten wir alle Menschen in Iserlohn
um ihre Beteiligung an der Kundgebung, die ihre Trauer über das brutale
Töten von unbewaffneten Menschen ausdrücken und sich gegen Gewalt und
Hass aussprechen wollen“, heißt es in der Einladung.
Der
Evangelische Kirchenkreis Iserlohn stellt sich in einer Mitteilung
hinter die Mahnwache. „Ich verurteile den grausamen Angriff der Hamas
auf Israel“, sagt Superintendentin Martina Espelöer und zeigt sich
entsetzt darüber. „Krieg und Waffengewalt lösen keine Konflikte. (...)
Die Nachrichten sind erschreckend und verstörend und zeigen wieder:
Lasst die Waffen schweigen. Als Christen rufen wir auf zu Verhandlungen
und Waffenstillstand“, heißt es unter anderem. Und: „Der Angriff auf
jüdische Menschen schneidet uns als Christen mitten ins Herz.“
Iserlohner Kreisanzeiger, 21.09.2023
|
Ressortleiter Martin Stolte (Mitte) stellte die Einzelheiten
der Verlegung am 26. Oktober vor. Im Vordergrund die zehn
Gedenksteine. Michael May |
|
Anna Torres, Emelie Katzmann und Berufskollegleiterin Andrea
Schumann (v. li.) berichten von den Vorbereitungen für die
Gedenkfeier. |
|
Martha Giebe, hier mit ihrem Mann Willy, wurde von den Nazis
ermordet, James Schultz-Anspacher |
Zehn neue Stolpersteine
Stadt plant umfangreiche Gedenkveranstaltung am 26. Oktober, bei dem
auch Besuch aus den USA erwartet wird
Miriam Mandt-Böckelmann
Iserlohn Es hat sieben Jahre gedauert seit der letzten Verlegung, nun
ist es wieder so weit: Zusätzlich zu den bisherigen 16 Stolpersteinen in
Iserlohn und Letmathe werden weitere zehn Gedenksteine in Iserlohn
verlegt. Die in den Boden eingelassenen quadratischen Tafeln aus Messing
mit abgerundeten Ecken und Kanten sollen an die Iserlohner Mitbürger
erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet,
deportiert und vertrieben wurden.
Die Idee geht auf den Berliner Künstler Gunter Demnig zurück, die
ersten Stolpersteine wurden 1996 verlegt: Inzwischen ist das Projekt mit
rund 75.000 Steinen in 1265 deutschen Kommunen und in 24 Staaten Europas
das größte dezentrale Mahnmal der Welt. „Nach Hinweisen der Berliner
Stolperstein-Initiative und nach umfangreichen Nachforschungen des
Iserlohner Stadtarchivs werden die zehn neuen Stolpersteine ihren Platz
vor Iserlohner Gebäuden und Orten finden“, sagte Martin Stolte, Leiter
des Ressorts Generationen und Soziales, bei der Vorstellung der
geplanten Verlegung.
Die Lage der Gedenksteine richtet sich nach dem letzten frei
gewählten Wohnort der Person – und nicht nach dem Ort, an dem sie
zuletzt gelebt hat, aber gezwungen war, dorthin umzuziehen oder vor den
Nazis zu fliehen, was auch im Bezug auf die neuen Iserlohner
Stolpersteine von Bedeutung ist. Gedacht wird der Jüdin Martha Giebe,
geborene Anspacher, die seit 1914 mit Willy Giebe, dem sogenannten
„Kino-König von Iserlohn“ verheiratet war. Willy Giebe wurde 1883 in
Delmenhorst geboren und lebte später in Bremen. Um sich vor Verfolgung
und Diskriminierung zu schützen, musste sich Martha Giebe in einem
Gartenhaus am Rande von Willy Giebes Heimatstadt Einbeck verstecken.
Dort wurde sie denunziert, verhaftet und im Herbst 1943 in das KZ
Auschwitz deportiert, wo sie am 6. Dezember 1943 ermordet wurde. „Über
Martha Giebe war bislang nur wenig bekannt, sie war aus dem Bewusstsein
der Geschichtskultur der Stadt verschwunden“, sagt Rico Quaschny. Nach
intensiven Forschungen in Einbeck und Bremen sei es nun doch gelungen,
einiges über Giebes Biografie zu erfahren, aber es gebe durchaus auch
noch „Lücken und Fragezeichen“. Immerhin gebe es inzwischen ein Foto von
Martha und ihrem Mann Willy.
Über Martha Giebe war bislang nur wenig
bekannt, sie war aus dem Bewusstsein der Geschichtskultur der Stadt
verschwunden.
Rico Quaschny, Stadtarchivar
James Schultz reist zur Verlegung mit seiner Familie aus den
USA an
Ihr Stolperstein soll an der Hans-Böckler-Straße 18
verlegt werden: An dieser Stelle befand sich bis zum Abbruch im Jahr
2011 die sogenannte Villa Giebe. Das Mitte des 19. Jahrhunderts
errichtete Wohnhaus, eines der ältesten Häuser an der ehemaligen Hagener
Chaussee (später Hagener Straße, seit 1975 Hans-Böckler-Straße), war von
einem Garten und einer Mauer umgeben, das zeigen historische Aufnahmen
aus dem Stadtarchiv. Weil das Gebäude nicht mehr steht, soll zusätzlich
zum Stolperstein eine Gedenktafel am Zaun angebracht werden.
Bei der feierlichen Verlegung werden Gäste aus den USA erwartet:
James Schultz aus New York wird an seine Großtante Martha Giebe
erinnern. Jörg Simon vom Erzieherischen Jugendschutz der Stadt Iserlohn
hatte den Kontakt zu Schultz hergestellt und sein Anliegen begleitet.
„Ende September 2022 habe ich einen Anruf von James Schultz erhalten. Er
wünschte sich einen Stolperstein für seine Großtante, und nach
Rücksprache mit dem Stadtarchiv haben wir das für eine gute Idee
gehalten“, erinnert sich Simon.
Steine auch für Kaufmannsfamilie Ehrlich
Weitere
neue Stolpersteine erinnern an die angesehene Iserlohner
Kaufmanns-Familie Ehrlich, der sich Stadtarchivar Rico Quaschny in
umfangreichen Forschungen, Veröffentlichungen und einem öffentlichen
Vortrag bereits gewidmet hat (wir berichteten). So werden Stolpersteine
für das Ehepaar Salomon und Regina Ehrlich sowie ihren Sohn Siegfried
und dessen Frau Helene (Gartenstraße 42) sowie die Familie Walter und
Hedwig Ehrlich mit den Kindern Heinz Richard und Kurt Günter
(Wasserstraße 2 a) verlegt.
Die Patenschaft für die Iserlohner Stolpersteine haben das
Friedensplenum sowie das Friederike-Fliedner-Berufskolleg und die
Realschule am Hemberg übernommen, die die Verlegung mit eigenen Aktionen
und Projekten begleiten werden. Am Berufskolleg soll zudem eine
Gesprächsrunde mit James Schultz stattfinden. „Wir wollen mit unserem
Schulprojekt zeigen, dass die Menschen nicht vergessen sind, und wollen
alles dafür tun, dass sich die Geschichte nicht wiederholt – denn wir
haben derzeit eine sehr brisante politische Lage“, sagte Andrea
Schumann, Leiterin des Berufskollegs. Die Schülerinnen und Schüler
planen Video-Installationen, die bei der Erinnerungsveranstaltung
gezeigt werden sollen.
|
Boten Polka, Ska, Rock und mehr zum Mittanzen und Mitsingen:
Silk Road Special am Samstagabend |
|
Es durfte gerockt werden: Wie immer war die Vielfalt groß |
|
"Zieht euch aus, macht 'ne Wall of Death": "Pils & Kippe"
mit Sänger und Gitarrist Marco. |
|
Brachial: das Wolfman Blues Orchestra am Samstag |
|
Ein Friedens- und Familienfestival: Alt und Jung beim
Feiern. |
|
Eine weitere bunte Facette: der Brass-Walking-Act "Schwarz
Rot Atemgold 09" |
|
Konnten sich auf ihre zahlreichen Fans verlassen: Red
Rooster |
Iserlohner Kreisanzeiger, 19.06.2023
"Rumeskalieren", aber ganz entspannt
Tim Gelewski
Iserlohn Das war es schon wieder mit dem Friedensfestival: Drei Tage
gute Stimmung, gute Musik und leckeres Essen auf dem Platz der Kulturen
(Fritz-Kühn-Platz). „Der Freitag ist ruhig angelaufen, der Samstag war
wahnsinnig gut. Wir sind sehr zufrieden“, sagt Alexander Platte vom
Orga-Team.
Den Start machen am Samstag Pax X mit Rock-Songs, die durchaus gut
ankommen, obwohl die meisten Besucher sich dann doch lieber noch im
Schatten aufhalten. Ungeschlagene Meister des
Publikum-in-die-Sonne-Lockens sind am frühen Samstagabend dann „Pils &
Kippe“. Die spielen irgendwas zwischen punkverwurzeltem Liedermachertum,
Polka und Chanson – das Ganze immer nach vorn („Musik zum
Rumeskalieren“) und knarz-gurgelig vorgetragen von Sänger Marco, der
auch im Sitzen das ist, was man hinlänglich als „Rampensau“ bezeichnet.
„Zieht euch aus, macht ‘ne Wall of Death – mir egal“, fordert er das
Publikum auf. Das allerdings tanzt lieber zu Stücken wie „Demokratie“.
Dann sinkt die Sonne, es steigen Schatten auf – und es ist ein
bisschen schade, dass der Auftritt jetzt vorbei ist. Beim nächsten Mal
vielleicht etwas später, spekuliert der Moderator, bevor es mit dem
Wolfman Blues Orchestra weitergeht. Das klingt dann in etwa so, als
würden Musiker von AC/DC und ZZ Top Songs der Rolling Stones spielen.
Laut und dreckig – und man wundert sich, wie es den drei Musikern
gelingt, so wuchtig zu klingen.
Eine ganz andere Schiene, aber stets tanzbar bieten dann Silk Road
Special, die stilistisch irgendwo angesiedelt sind zwischen Ska, Polka,
Fusion und Rock. Eindeutig zu letzterer Stil-Kategorie zählen die
Festival-Veteranen Red Rooster, die bereits 1991 dabei waren und klar
sichtbar als letzter Act des Abends ihre Fans in der Stadt haben. Schon
als Sänger Achim Rabenschlag ans Mikro tritt, wird es laut – und so
bleibt es vor und auf der Bühne.
Einer der bewegendsten Bühnenmomente: Als Masuma Haidari vom
Schicksal des Volks der Hazara und dessen Verfolgung durch die Taliban
in Afghanistan erzählt. Ein Teil ihrer Familie ist noch dort, unter
Tränen verlässt sie die Bühne.
Der Freitag ist ruhig angelaufen, der Samstag war
wahnsinnig gut. Wir sind sehr zufrieden.
Alexander Platte, Orga-Team
Helfer werden in Zukunft mehr benötigt denn je
Der Sonntag läuft wieder ruhiger an. The Funkophils bieten das, was
der Name vermuten lässt, nämlich Funk, mit deutschen Texten – und somit
einen angenehm entspannten Start in den Tag. Ebenso fügen sich
Schwarzpaul ein, bei ihren Reggae- und Dancehall-Stücken wird die
Beats-Zahl allerdings noch mal deutlich nach unten geschraubt.
Außerdem stehen am Sonntag noch Kunstfehler und Anderes Holz auf dem
Programm – und es ist schwer und wäre unfair, bei diesem insgesamt
gelungenen Line-Up jemanden eindeutig herauszuheben.
Damit alles klappt, heißt es für das Team um Alexander Platte auch in
diesem Jahr wieder: Schwerstarbeit. Zwar gibt es um die 80 Helfer
inklusive Parteien und Vereinen, der harte Kern sind aber kaum zehn
Leute. „Wir haben junge Leute, die nachkommen, bei Helfern und Publikum.
Aber es tröpfelt eher.“ Ein Grund, warum man wohl auch in Zukunft nicht
parallel zum Schützenfest veranstalten will. Dann nämlich könnten
helfende Hände im Kinderland (Betreuung) fehlen. Und das will man
vermeiden.
Eine Fotostrecke finden Sie auf ikz-online.de
Wie kommen eigentlich die Bands zum Festival?
Martin vom Organisationsteam des Friedensfestivals erklärt,
was den Machern des Friedensfestivals wichtig ist
Tim Gelewski
Iserlohn Ein Festival,
ehrenamtlich, mit wenig Budget: Hier erklärt Martin vom Orga-Team, wie
das geht und was wichtig ist.
Was ist deine Aufgabe
und wie bist du dazu gekommen?
Ich habe mich 2005 als Helfer
gemeldet und hab dann verschiedenes gemacht. Ich war auch gleich bei der
Bandauswahl dabei. Ich habe mich dann unter anderem um die Kontakte zu
den Bands und Verträge gekümmert.
Wie findet ihr
geeignete Bands und wie funktioniert die Auswahl?
Die Bands
finden uns und bewerben sich. Es gab aber auch schon Kontakte über
andere Konzertveranstalter. Wir haben in der Regel um die 100
Bewerbungen. Diesmal haben wir 14 Bands ausgewählt, das Ganze ist eine
Gemeinschaftsentscheidung.
Was muss eine Band
für das Friedensfest mitbringen?
Wir nehmen grundsätzlich keine
Coverbands. Es soll eigene Musik sein, gerne etwas ausgefallen. In den
Städten haben sich Coverbands bei Veranstaltungen sehr etabliert. Wir
wollen denen, die eigene Lieder spielen, eine Bühne bieten, legen auch
Wert auf heimische Bands.
Es gibt Geschichten
aus der Vergangenheit, wo Bands für Kost und Logis spielten und bei
Förderern des Festivals auf dem Boden schliefen. Ist das noch so?
Das war früher so, aber da waren wir alle jünger. Mit Partner oder
einer Familie wird es dann eng. Es sind aber auch nicht mehr viele, die
eine Übernachtung brauchen, diesmal waren es drei, die schlafen dann im
Hotel.
Ihr hattet ja schon
Bands da, die in anderen Ländern die ganz großen Hallen füllen, zum
Beispiel Doctor Krápula aus Kolumbien, die als linke Band vor der
politischen Situation dort fliehen mussten. Gibt es eine Band, auf die
ihr besonders stolz wart?
Bandista aus Istanbul waren toll,
Atmasfera aus der Ukraine oder Marvalise aus Frankreich. Am Ende ist das
aber Geschmackssache.
Viele Beteiligte
sagen, das Festival sei etwas alt geworden bezogen auf Publikum und
Macher. Die Musik junger Leute findet live kaum statt. Was könnte
helfen?
Ich würde mir wünschen, dass es für Jugendliche mehr
Probe- und Auftrittsmöglichkeiten gibt. Das könnte vieles beleben. Die
Jugend hat halt einen anderen Musikgeschmack. Aber klar, wenn uns die
nächste Generation wegbricht, besteht immer die Gefahr, dass es kleine
Festivals wie das Friedensfest irgendwann nicht mehr geben wird.
Jugend, Alter
Tim Gelewski
Vorweg: Das
Friedensfestival ist eine tolle Sache für Iserlohn, vor allem am Samstag
war es rappelvoll, die Stimmung gut, die Musik ebenso. Es fällt aber
schon auf, dass die Veranstaltung selbst unter der Prämisse „umsonst und
draußen“ nur wenig jüngeres Publikum anlockt. Auch das ehrenamtliche
Orga-Team kommt langsam in die Jahre, das sagt es auch selbst, was die
Veranstaltung mittelfristig vermutlich in Gefahr bringt.
Was also tun? Zunächst
muss man natürlich festhalten, dass wenn man etwa Stream- oder
Download-Charts betrachtet, dies überwiegend Musik ist, die nicht
unbedingt für eine Livebühne gemacht ist. Die Musik der Jugend findet
live also allgemein nur eingeschränkt statt. Dennoch gibt es sie
natürlich, auch auf der Bühne – und hier zu vermitteln und diese Lücke
zu schließen wäre sicher eine Aufgabe gewesen, die ein Kulturmanager,
den es ja in Iserlohn nicht geben wird, hätte übernehmen können.
Eine gute Idee fände ich
es, bei einer städtischen Veranstaltung mal eine kleine Bühne von jungen
Leuten kuratieren zu lassen. Vielleicht unter Einbindung des Kinder- und
Jugendrates oder auch anderer Institutionen. Ich glaube nicht, dass
hierfür viel Budget benötigt würde.
Man darf nicht
vergessen: Auch mit der Brandschutzproblematik im JuZ sind Probe- und
Auftrittsmöglichkeiten in Iserlohn für junge Leute weggebrochen. Dass
allgemein im Bereich Jugend und Kultur ein schweres Defizit besteht, hat
ja auch der Kulturentwicklungsplan offenbart.
Klar, am Anfang würde
vermutlich auch mal was schief gehen. Aber es wäre zumindest mal ein
Anfang. Und ein Zeichen.
Iserlohner Kreisanzeiger, 17.06.2023
Das 31. Friedensfestival ist gestartet
Wenn sich ein weißlanghaariger Herr im Metal-Shirt, Punks, Menschen in
Bathik-Klamotten oder auch Polohemd, Normalos und optisch weniger
Normkonforme zwischen Oberster Stadtkirche und Bauernkirche treffen,
dann ist Friedensfestival: Am Freitagabend ist nun die 31. Auflage
gestartet. Den Auftakt machten die Bands Radionative, Melantonic,
Superthousand und Relate. Zahlreiche Besucher kamen schon früh auf den
in Sonne getauchten Platz der Kulturen. Zur Eröffnung sprach auch
Michael Joithe – als erster Bürgermeister seit Annemarie Tzschachmann,
die in den 70er und 80er Jahren zweite und stellvertretende
Bürgermeisterin war. „In einer Zeit, als noch in Frage stand, ob das
Festival überhaupt stattfinden darf“, so Detlev Paul vom Orga-Team.
Joithe sagte, das Festival sei eine Aufforderung an alle Menschen, für
Frieden einzustehen. Gleichzeitig lobte er das große ehrenamtliche
Engagement der Iserlohner nicht zuletzt um die in die Waldstadt
geflüchteten Ukrainer.
|
Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus: Die
Historikerin Katja Hofbauer sprach am Donnerstag bei der
Mahnmalveranstaltung zum Auftakt des 31. Friedensfestes. Foto:
Michael May |
Iserlohner Kreisanzeiger, 16.06.2023
Angst, Ausgrenzung und Vertreibung
Katja Hofbauer erinnerte zum Auftakt des 31. Friedensfestes an
das Schicksal der Familie Koppel in Letmathe
Ralf Tiemann
Iserlohn Überall auf der Welt herrscht Krieg, nicht nur in der Ukraine
und damit mitten in Europa. „Dennoch wollen wir heute der Opfer des
Nationalsozialismus gedenken“, sagte Klaus Gith vom Friedensplenum am
Donnerstagabend bei seiner Begrüßung zu der traditionellen
Gedenkveranstaltung am Mahnmal am Poth, mit der alljährlich das
Friedensfestival beginnt.
Staudamm brach vor 80 Jahren
Das Erinnern an die Zeit des Nationalsozialismus, so Gith, biete sich
gerade wegen der Parallele zum Ukraine-Krieg an. Denn Mitte Mai 1943,
also vor fast genau 80 Jahren, wurde die heimische Region durch die
Bombardierung der Möhne-Talsperre von einer ähnlichen Flut verwüstet,
wie jetzt Teile der Ukraine nach der dortigen Staumauersprengung. Im
Mittelpunkt des Gedenkens am Donnerstag stand aber die Familie Koppel
aus Letmathe – die unter der NS-Diktatur alles verlor und Angst,
Ausgrenzung und Vertreibung erleiden musste, nur weil sie jüdischen
Glaubens war, wie die Historikerin Katja Hofbauer, die die
Familiengeschichte der Koppels erforscht hat, in ihrem Vortrag vor rund
40 Zuhörern erklärte. Um 1930 sei Letmathe noch eher ein Dorf mit knapp
über 8000 Einwohnern gewesen. Vier davon waren Juden, die zuvor auch
keine überlieferten Repressalien erleiden mussten, sondern vielmehr
bemüht waren, sich anzupassen. Julius Koppel, der ein Textilgeschäft
betrieb, hatte seinen drei Söhnen, denen er ein Studium ermöglichte,
sogar teilweise deutsche Namen gegeben.
Sein Schicksal war dennoch schrecklich und steht für unzählige aus der
Zeit. Schon früh ist ihm alles genommen worden, sodass er 1939 seine
Heimatstadt verließ und nach Köln zog, wo er 1943 starb – er war wohl zu
krank und schwach für eine Deportation ins KZ gewesen.
Nach dem Vortrag wurde ein Kranz am Mahnmal niedergelegt. Das 31.
Friedensfestival startet am Freitag um 17.45 Uhr auf dem Platz der
Kulturen an der Bauernkirche.
Iserlohner Kreisanzeiger, 03.06.2023
Friedensfestival-Programm steht
Helfende Hände werden noch dringend benötigt
Jennifer Katz
|
Das Orga-Team hofft in 14 Tagen auf einen vollen
Fritz-Kühn-Platz. Foto Dennis Echtermann |
|
Red Rooster holen ihren im vergangenen Jahr wegen Corona
ausgefallenen Auftritt nach. |
Iserlohn Der Countdown läuft, bis zur 31. Auflage des Iserlohner
Friedensfestival sind es keine zwei Wochen mehr. Unter dem Motto „Krieg
zerstört, Frieden verbindet!“ sollen vom 16. bis 18. Juni auf dem Platz
der Kulturen (Fritz-Kühn-Platz) wieder jede Menge Musik, politische
Denkanstöße und ein buntes Programm für Kinder geboten werden.
Das Organisationsteam um Alexander Platte ist weitestgehend zufrieden
mit den Vorbereitungen, nur eines wird noch dringend benötigt: helfende
Hände. Wer während des Festivals anpacken kann, ist ausdrücklich
eingeladen, sich zu melden. Wegen eines fehlenden Layouters habe diesmal
beispielsweise die Festival-Zeitung nicht erscheinen können.
Eröffnet wird das Spektakel traditionell bereits am Donnerstag mit
der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Am
15. Juni ab 18 Uhr wird am Mahnmal am Poth die Historikerin Katja
Hofbauer über das Schicksal der jüdischen Familie Koppel aus Letmathe
sprechen.
Rund um die Bauernkirche geht es am Freitag, 16. Juni, ab 17.45 Uhr
los. Der Bürgermeister wird das Festival offiziell eröffnen, bevor Bands
und Redner die Bühne übernehmen. „Wir wollen nicht nur auf die
Missstände in der ganzen Welt und vor Ort aufmerksam machen, sondern
auch hier bei uns, im Kleinen, ein friedlicheres Miteinander schaffen.
Das geht am besten, wenn wir zusammen feiern. Die Musik verbindet, gutes
Essen sowieso, und wir kommen miteinander ins Gespräch“, schreiben die
Verantwortlichen in ihrem Flyer.
Iraner und Hazara schildern ihre Schicksale
Und so wird die Situation eines iranischen Geflüchteten, der seine
Geschichte aufgeschrieben hat, vorgetragen – er selbst will sich aus
Angst nicht zeigen. Auch Hazara werden ein Schicksal schildern.
„Eventuell kommen auch Ukrainer, um von ihrer Lage zu berichten“, sagt
Platte, der in engem Kontakt zum Verein Vereinte Ukrainer, die sich
diesmal sehr stark als Helferinnen und Helfer engagieren würden, steht.
Hazara und Ukrainer werden auch mit eigenen Ständen auf dem Festival
vertreten sein.
Stichwort Stände: Das gastronomische Angebot bereichern die Gruppen
ebenso wie Anbieter von Speisen aus Thailand und Afrika, es gibt alles
von veganer Kost, Crêpes, Bratwurst und vieles mehr. Das traditionelle
Kuchenbüfett soll erneut aufgebaut werden, dafür werden allerdings auch
noch dringend Spenden benötigt. „Zum ersten Mal hat die
Waldstadt-Brauerei einen Stand bei uns, wir wollen die regionalen
Produkte unterstützen“, erzählt Platte. Wein und Sekt komplettieren das
Angebot.
Für die Kleinsten gibt es wieder das „Kinderland“, das in diesem Jahr
sogar mit zwei Hüpfburgen aufwarten kann. Basteln, Kickern, Schminken,
Haareflechten und vieles mehr können die Mädchen und Jungen diesmal am
Samstag und Sonntag jeweils von 16 bis 19 Uhr kostenfrei nutzen. Am
Samstag um 17 Uhr wird außerdem der Zauberer „Hokuspokus Farbenfroh“ zu
Gast sein und unter anderem Luftballonmodellage im Gepäck haben. Am
Sonntag ist die Zirkusschule Petit an Bord. Unterstützung gibt es
obendrein vom „Checkpoint“, finanzielle Hilfe kommt zum zweiten Mal von
der Kinderlobby.
Für das musikalische Programm ist Martin Eichelberg zuständig. Er
verspricht einen bunten Mix aus verschiedensten Genres, von Reggae über
Rock bis hin zu Blasmusik. „Nachdem Red Rooster im vergangenen Jahr als
Topact geplant waren, aber wegen Corona absagen mussten, holen sie ihren
Auftritt diesmal nach“, so Eichelberg.
Wegen Erkrankungen ausgefallene Gigs nachholen
Eine zweite Chance bekomme auch Kunstfehler: „Der Sänger hatte sich
während des Konzerts beim Sprung von der Bühne den Fuß verletzt, der
Auftritt musste abgebrochen werden. Es hat etwas gedauert zu planen,
einige Absagen hatte es gegeben“, sagt Eichelberg, der sich nun jedoch
auf ein „gutes, rundes Programm“ freut. Insgesamt 15 Bands werden am
Start sein, darunter auch Paxx, die Festivalcombo. Nicht auf der Bühne,
sondern auf dem Platz wird am Samstag eine Sambagruppe zu erleben sein,
am Sonntag dann die Gruppe Schwarz Rot Atemgold 09 mit
„Ruhrskaworldjazzbrass“.
Platte spricht allen Ehrenamtlichen, die das Festival vorbereiten,
einen großen Dank aus: „Sie opfern alle ihre Freizeit.“
Iserlohner Kreisanzeiger, 15.05.2023
Friedensfestival wird
finanziell abgesichert
Iserlohn Das 31.
Friedensfestival, das vom 16. bis 18. Juni auf dem Fritz-Kühn-Platz
stattfindet, ist im Fall eines Ausfalls abgesichert. Alexander
Platte vom Verein „Friedensfestival Iserlohn“ hatte einen Antrag auf
Unterstützung gestellt. Der Kulturausschuss beschloss einstimmig,
den Veranstaltern einen Zuschuss auf Fehlbedarfsfinanzierung zu
gewähren.
Das bedeutet, dass der Zuschuss nur gezahlt wird, wenn das
Projekt mit einem entsprechenden Defizit abgeschlossen wurde. Da der
Antrag erst nach den Beratungen über den Haushaltsplan und die
Förderungen für Vereine und Verbände im Jahr 2023 gestellt wurde,
stehen dafür eigentlich keine Haushaltsmittel zur Verfügung.
Dem Verein wird daher zunächst ein Zuschuss bis 2000 Euro aus dem
Reservefonds des Fördertopfes gewährt, wenn ein entsprechendes
Defizit vorliegt. Sollte das Defizit wider Erwarten höher ausfallen,
soll im Kulturausschuss am 30. August über eine Erhöhung beraten
werden. kk
|
Der Ostermarsch für Frieden und Menschenrechte führte von
Iserlohn nach Hemer Fotos: Ralf Engel |
|
Die Band „Pils & Kippe“ spielte auf der Abschlusskundgebung
auf dem Hademareplatz. |
Iserlohner Kreisanzeiger, 11.04.2023
Den Traum vom Frieden nicht aufgeben
Von Ralf Engel
Hemer/Iserlohn
„Dass wir ein weiteres Jahr mit Krieg in Europa hier stehen
müssen, ist eine Katastrophe“, sprach Detlef Paul vom
Friedensplenum Iserlohn vielen Ostermarschierern wohl aus der
Seele. Für Frieden und Menschenrechte und gegen Rassismus und
Unterdrückung gingen an Karsamstag über 100 Bürger auf die
Straße. Der Ostermarsch 2023 führte diesmal von Iserlohn nach
Hemer.
Das Iserlohner Friedensplenum und das Friedensbündnis Hemer
hatten zu der Demonstration eingeladen. 2022 war in Anbetracht
des russischen Angriffs auf die Ukraine nach fast drei
Jahrzehnten Pause an die alte Tradition der Ostermärsche
angeknüpft worden. Nach der Begrüßung auf dem Alten Rathausplatz
in Iserlohn machten sich rund 70 Bürger zu Fuß über den
Bahntrassenradweg auf den Weg nach Hemer. Unter ihnen war auch
Hemers Bürgermeister Christian Schweitzer. Die Resonanz war
nicht größer als im Vorjahr.
102 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht
Auf dem Hademareplatz konnte Katja Schönenberg vom
Friedensbündnis dann weitere Teilnehmer begrüßen, unter ihnen
Geflüchtete aus dem Iran, Syrien und Afghanistan. Sie erinnerte
daran, dass nach Zahlen von Amnesty International weltweit 102
Millionen Menschen auf der Flucht seien. Ihre Menschenrechte
würden verletzt, ihre Lebensgrundlage geraubt. Mit den Menschen
im Kriegsgeschehen und den Geflüchteten wolle dieser Ostermarsch
Solidarität zeigen. „Wir wollen zeigen, dass der Traum vom
Frieden noch nicht aufgegeben ist“, so Katja Schönenberg.
Bürgermeister Christian Schweitzer erinnerte daran, dass in
mehr als 30 Ländern Krieg herrscht. Millionen Kindern werde die
Kindheit und die Zukunft geraubt. „Krieg kennt keine Gewinner“,
betonte Schweitzer. Aber was könne vor Ort geleistet werden?
Hemer habe rund 800 Geflüchtete aufgenommen. Am Beispiel eines
aus Russland stammenden Schülers, der in einer Grundschule wegen
seiner Herkunft angegangen werde, appellierte der Bürgermeister,
darauf zu achten, wer Verursacher, Schuldiger sei. Der Schüler
könne gar nichts für den Krieg in Russland. Wie stehe es um die
Beziehung zu Schelkowo? „Wir brauchen am Ende wieder einen Weg,
aufeinander zuzugehen“, so Schweitzer. Es brauche einen Weg für
Diplomatie.
Ralf Linke und Sandra Serk vom Friedensbündnis erinnerten an
die lange Tradition der Ostermärsche seit 1958. Sie brachten die
Hoffnung zum Ausdruck, dass nicht noch ein weiterer Ostermarsch
im Krieg stattfinden müsse. Das Friedensbündnis Hemer stehe für
die Einhaltung der Menschenrechte, Gewaltlosigkeit und einen
ökologischen Kulturwandel.
Ismael als Vertreter der aus Afghanistan geflüchteten Hazara
machte auf die Verletzung der Menschenrechte und Unterdrückung
der Frauen durch die Taliban „vor den Augen der Welt“
aufmerksam.
Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban
Er forderte die Anerkennung des Völkermords und eine
Nichtanerkennung der Taliban als afghanische Regierung. Nur ein
erhöhter Druck auf die Taliban und eine stärkere Beobachtung der
Situation vor Ort könne die Lebensumstände der Hazara
verbessern. Pastor Friedhelm Gröne erinnerte an die Bibel als
eine der Wurzeln der Osterwanderer. „Wenn unser Herz nicht
brennt, dann haben wir verloren“, warb er, sich gemeinsam auf
den Weg der Hoffnung zu machen.
Musikalisch umrahmt wurde die Abschlusskundgebung durch die
Band „Pils & Kippe“ und die Gruppe „Paxx“. „Slawa Ukraini“ und
„We shall overcome“ waren die musikalischen Friedensbotschaften.
Iserlohner Kreisanzeiger, 06.04.2023
Ostermarsch für Frieden und Solidarität
Iserlohn Auch in
kriegerischen Zeiten möchte das Friedensplenum den Traum vom Frieden
wach halten und veranstaltet zusammen mit dem Friedensbündnis Hemer
an diesem Samstag, 8. April, ab 10 Uhr einen Ostermarsch ausgehend
vom Alten Rathausplatz in Iserlohn nach Hemer.
Der Angriffskrieg gegen die Ukraine überschatte gerade die vielen
anderen Kriege und bewaffneten Konflikte auf der ganzen Welt.
„Weltweit sind Millionen Menschen von Kriegen und deren Folgen
betroffen. Unzählige Menschen sind auf der Flucht und einige von
ihnen haben in Deutschland Zuflucht gefunden“, teilt das
Friedensplenum mit. Der Ostermarsch soll, so die Organisatoren, die
Solidarität mit allen von Krieg und Vertreibung betroffenen Menschen
zeigen. „Jeder, der den Traum vom Frieden teilt und sich für echte
Friedenslösungen einsetzen möchte“, ist vom Friedensplenum und
Friedensbündnis Hemer zu Teilnahme aufgerufen.
|
Fatima Fazly (2. v. li.) informierte am Dienstag unter
anderem Bürgermeister Michael Joithe (li.) und die
Bundestagsabgeordneten Paul Ziemiak und Bettina Lugk über das
Schicksal der Hazara. |
|
Die Informationsveranstaltung im Ratssaal über den
Völkermord an den Hazara stieß auf großes Interesse. Fotos:
Dennis Echtermann |
Iserlohner Kreisanzeiger, 06.04.2023
Ein Völkermord, der kaum wahrgenommen wird
Die Iserlohner Hazara informieren im Ratssaal über das Schicksal
ihres Volkes und hoffen auf Unterstützung vom Bund
Von Ralf Tiemann
Iserlohn Die Liste
der Konflikte, Kriege und gewaltsamen Unterdrückung ganzer
Volksgruppen auf dieser Welt ist lang, und es liegt wohl in der
Natur der Sache, dass nicht alle gleichsam in Medien und in der
öffentlichen Wahrnehmung präsent sind. Nach dem, was Fatima
Fazly am Dienstag im Iserlohner Ratssaal über das Schicksal der
Hazara geschildert hat, erstaunt es schon, wie wenig dieser über
inzwischen rund 150 Jahre tobende Völkermord bei uns bekannt
ist.
Die einstmals größte und hauptsächlich schiitische
Volksgruppe Afghanistans wurde seit dem ausgehenden 19.
Jahrhundert von den größtenteils sunnitischen Machthabern der
Paschtunen in zahlreichen Massakern dezimiert, vertrieben,
versklavt und unterdrückt. Heute stellen sie nur noch 16 Prozent
der afghanischen Bevölkerung, der Genozid keimt aber unter der
aktuellen Taliban-Regierung wieder voll auf. Und damit nun auch
eine weltweite Protestbewegung, die unter dem
#StopHazaraGenocide die grausamen Gräueltaten in den Fokus
stellt und um Anerkennung kämpft.
Genau das hat auch die kleine Iserlohner Hazara-Community im
Sinn – rund zehn Familien, die bereits im vergangenen Dezember
unterstützt vom Iserlohner Friedensplenum auf dem
Fritz-Kühn-Platz für ihre Belange demonstriert haben. Ihre
Hauptziele sind: Die Anerkennung des Völkermords, was auch ihren
Status als Asylbewerber verbessern würde, und eine
Nichtanerkennung der Taliban als afghanische Regierung. Nur ein
erhöhter Druck auf die Taliban und eine stärkere Beobachtung der
Situation vor Ort könne die Lebensumstände der Hazara
verbessern.
Abgeordnete für die Sache der Hazara gewinnen
Schon im Dezember kam die Iserlohner Gruppe auf das
Friedensplenum zu, um über eine Informationsveranstaltung die
Iserlohner Bundestagsabgeordneten Bettina Lugk (SPD) und Paul
Ziemiak (CDU) zu erreichen und für ihre Sache zu gewinnen. Dem
ist Alexander Platte vom Friedensplenum nun nachgekommen.
Bürgermeister Michael Joithe stellte dazu den Ratssaal zur
Verfügung, und Lugk und Ziemiak nahmen sich die Zeit, um sich
von den Iserlohner Hazara und von Fatima Fazly als eine der
Sprecherinnen der deutschlandweiten Protestwelle eingehend
informieren zu lassen. Deutlich wurde dabei auch, wie sehr die
Verfolgung der aus dem mongolischen Kulturkreis stammenden und
durch ihre asiatischen Züge auffallenden Hazara rassistisch
motiviert ist. Ebenso wurde deutlich, dass sich die Hazara sehr
deutlich von den fundamentalistisch-islamistischen Machthabern
darin unterscheiden, dass Frauen vollkommen gleichberechtigt
sind.
Viele in Iserlohn lebende Hazara sind erst 2018
hierhergekommen. Fatima Fazly lebt hingegen schon seit 30 Jahren
in Deutschland. Sie schilderte das Leid ihres Volkes sehr
emotional mir großer persönlicher Anteilnahme – ihre eigene
Familie habe über viele Generationen hinweg Opfer zu erleiden.
Sie selbst wollte mit ihrer Geschichte und dem Konflikt mit
den Afghanen lange Zeit nichts zu tun haben. Erst die aktuellen
Massaker und Übergriffe der Taliban gegen ihre Volk hätten sie
zum Umdenken gebracht. „Dieses ganze Thema wurde viel zu lange
von der Weltöffentlichkeit verdrängt.“
Wie ist die Situation der Hazara in Deutschland?
Ihre Community in ganz Deutschland ist mit rund 30.000
Mitgliedern relativ klein. Bedeutender sind ihre Gruppen in
Australien, Skandinavien und auch Österreich. Angesichts einer
recht großen afghanischen Community von rund 300.000 Menschen
wollte Paul Ziemiak wissen, inwieweit sich die Übergriffe und
der Rassismus auch in Deutschland fortsetzen, was aber in der
Diskussion am Dienstag nicht wirklich aufgelöst werden konnte.
Hauptthema war in der Aussprache vor allem eine Verbesserung
des Asylstatus der Hazara – für sie gelte in Deutschland wie für
alle Afghanen nur ein Abschiebeverbot – und ein möglicher
Missbrauch der deutschen Asylmöglichkeiten durch die Taliban.
Vor allem aber möchten die Iserlohner Hazara erwirken, dass sie
über die Iserlohner Bundestagsabgeordneten die Möglichkeit
bekommen, im Bundestag zu sprechen und vor einer
parlamentarischen Gruppe argumentieren und Dokumente vorlegen
können.
Ein zählbares Ergebnis hatte das Treffen am Dienstag nicht,
es ging zunächst einmal um Information und darum, die beiden
Politiker für das Thema zu gewinnen, was ohne Zweifel gelungen
ist. Sowohl Ziemiak als auch Lugk erklärten, sich der Sache der
Hazara anzunehmen und ihnen zu helfen.
Iserlohner Kreisanzeiger, 27.01.2023
|
Dietmar Eggeling (v.li.), Burckhardt Hölscher, Klaus Gith,
Yvonne Simon und Alexander Platte putzen vor der Bahnhofstraße 2
die „Stolpersteine“, die an Cäcilie und Julius Meyberg erinnern.
MMB |
|
Am 9. November 1938 wurden Laden und Wohnung der Familie
geplündert. SA-Männer warfen Möbel aus dem Fenster.
Heimatverein |
|
Seit 2009 gibt es die „Stolpersteine“. Im Gedenkbuch der
Bundesregierung gibt es die Schreibweisen Cäcilia sowie Cäcilie. |
Putzen gegen das Vergessen
Friedensplenum und Heimatverein kümmern sich gemeinsam um
Letmather „Stolpersteine“
Von Miriam Mandt-Böckelmann
Letmathe Seit Mittwoch
glänzen sie wieder – und erfüllen damit rechtzeitig zum Tag des
Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar den Zweck, der ihnen
einmal zugedacht wurde: „Die drei ,Stolpersteine’ in der Letmather
Innenstadt wurden 2009 auf Bestreben eines ökumenischen Initiativkreises
verlegt, um an die jüdischen Mitbürger zu erinnern, die hier einst
lebten, bis sie von den Nazis gedemütigt, entrechtet, vertrieben und
schließlich ermordet wurden“, erklärt Pfarrer im Ruhestand Burckhardt
Hölscher, der damals an dem Projekt beteiligt war. Die „Stolpersteine“,
kleine in den Bürgersteig eingelassene Messingquadrate, sind das größte
dezentrale Mahnmal der Welt. In Iserlohn und Letmathe gibt es davon
insgesamt 16.
Für die diesjährige Putzaktion kam es erstmals zur Zusammenarbeit
zwischen dem Friedensplenum Iserlohn und dem Heimatverein Letmathe. „Wir
freuen uns, dass es diese Partnerschaft jetzt gibt“, sagte Alexander
Platte vom Friedensplenum. Es sei wichtig, sich auch über die Grenzen
der Innenstadt hinweg für gemeinsame Ziele zu engagieren. Für Alexander
Platte ist die Botschaft in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus
wichtiger denn je: „Die ,Stolpersteine’ zeigen, dass die Menschen und
das Unheil, das ihnen zugefügt wurde, nicht vergessen werden.“
Die „Stolpersteine“ sollen zum Nachdenken anregen
Vereinzelt vorgebrachte Argumente gegen die Kunst-Aktion, wie zum
Beispiel, dass sich die Steine nur auf den Tod der Menschen, nicht aber
auf ihr individuelles Leben bezögen, oder dass ihre Lage auf dem Boden
kein Gedenken auf Augenhöhe erlaube – zumal die Menschen in den Häusern
und nicht auf den Straßen gelebt hätten –, lässt Platte nicht gelten:
„Ich finde, sie erfüllen ihre Aufgabe. Die Menschen ,stolpern’ im
übertragenen Sinne darüber und kommen dabei ins Nachdenken.“
Damit die Steine wieder die Aufmerksamkeit der Passanten erregen
können, ging es ans Schrubben: Scheuermilch, Edelstahl-Topfreiniger und
Lennewasser taten an der Bahnhofstraße 2, direkt neben der Lennebrücke,
ihren Zweck.
Hier wohnte die Familie Meyberg, die dort ein Textilgeschäft betrieb.
Historikerin Katja Hofbauer erforschte das Leben von Cäcilie und Julius
Meyberg sowie das ihres Adoptivsohnes Heinrich, genannt Heinz. Sie sagte
seinerzeit bei der Eröffnung des „Gedenkweges“: „Die Meyerbergs haben 39
Jahre lang in dieser Stadt gelebt, aber die Nationalsozialisten haben
mit viel Erfolg ihre Spuren verwischt.“ So sei das, was mit der Familie
geschah, zum Teil nur schwer oder gar nicht zu klären.
Fest steht: Ihr Geschäft lief immer schlechter. Von der Hagener
Straße 32, wo sie jahrzehntelang gelebt und gearbeitet hatten, mussten
sie 1935 an die Bahnhofstraße ziehen. „Es ist der letzte selbstgewählte
Wohnsitz in Deutschland“, so Hofbauer. Sohn Heinz sei im März 1936 über
Holland nach Argentinien ausgewandert. In der Reichspogromnacht am 9.
November 1938 plünderten SA-Männer den Laden, zerstörten die Wohnung und
warfen das Mobiliar aus dem Fenster auf die Straße.
Im April 1939 zogen die Meybergs an die Unnaer Straße nach Iserlohn.
„Vielleicht hofften sie, dort unauffälliger leben zu können“, vermutet
die Historikerin. 1942 musste das Paar Iserlohn verlassen, am 30. Juli
1942 wurden sie von Dortmund aus ins KZ Theresienstadt deportiert, von
wo sie am 23. September 1942 zusammen mit fast 2000 anderen Menschen ins
Vernichtungslager Treblinka gebracht wurden. „Cäcilie und Julius Meyberg
waren 67 und 66 Jahre alt. Wann genau sie dort ermordet wurden, ist
nicht mehr festzustellen.“
Sohn Heinz stellte Mitte der 1950er Jahre bei der Stadt Iserlohn
einen Antrag auf Entschädigung für das ihm und seinen Eltern zugefügte
Leid, so Hofbauer. „Die Entscheidung darüber fiel im Januar 1959. Heinz
Meyberg hat sie leider nicht mehr erlebt. Er war einige Monate zuvor mit
nur 42 Jahren in Argentinien verstorben. Seine Frau und seine Tochter
beerbten ihn.“
Weiter ging es für die Vertreter vom Friedensplenum und Heimatverein
auf ihrem Weg zur Hagener Straße 58, wo ein „Stolperstein“ an den
jüdischen Kaufmann Julius Koppel erinnert.
Auch seine Wohnung wurde in der Reichspogromnacht stark beschädigt,
auch er musste sich dem zunehmenden Druck der Nazis beugen: Koppel zog
im Juli 1939, nach Köln, wo er – verarmt, einsam und krank – im August
1942 starb.