Pressespiegel 2023

Am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus wurden zum Abschluss Kränze niedergelegt.
Am Gedenkstein für die Synagoge begrüßte Detlev Paul vom Friedensplenum die Teilnehmer.
Iserlohner Kreisanzeiger, 10.11.2024

Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt

150 Menschen bei der Gedenkveranstaltung zum 9. November

Jennifer Katz

Iserlohn. Dass am Abend des 9. November der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird, hat in Iserlohn bereits eine lange Tradition. In diesem Jahr stand die Veranstaltung auch im Zeichen des Nahost-Konflikts, was nicht nur an der erhöhten Polizeipräsenz und der mit 150 Teilnehmern großen Resonanz sichtbar wurde, sondern auch in den Ansprachen.
Am Gedenkstein für die vor 85 Jahren zerstörten Synagoge an der Mendener Straßew hatten sich am Donnertsgabend Mitglieder der Ratsfraktionen, der Verwaltung und der Kirchen, Bürgerinnen und Bürger sowie Vertreterinnen und Vertreter des Friedensplenums als Organisatoren sowie Bürgermeister Michael Joithe zusammengefunden. Am Saxophon begleitete Ole Maurits Schnettker von der Musikschule Iserlohn das Gedenken. Gleich zu Beginn, als Detlev Paul vom Friedenplenum sprach, kam es kurz zu einer Störung durch einen jungen Mann, der dann von Polizeibeamten in Richtung Fußgängerzone wegbegleitet wurde.

"Jeden Tag aufs Neue für unseren Rechtsstaat eintreten"
Joithe erinnerte zunächst an die Gräueltaten in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 und die Folgezeit. "Keiner von uns war damals dabei, doch die Verantwoprtung für dieses Erbe bleibt. Dass damals so viele weggeschaut haben oder tatenlos zugeschaut haben, erfüllt uns zu Recht heute mit Scham", erklärte er. Beim Blick auf die aktuellen Nachrichten werde mehr als deutlich, dass "auch und gerade heute ein Gedenken an das Inferno sinnvoll und leider immer noch nowendig ist". Die Ereignisse des 9. Novembers zeigten, "dass Rechtsstaat und Demokratie keine Errungenschaften sind, die einmal erworben werden und dann selbstverständlich sind". Joithe weiter: "Wir sind alle aufgerufen, jeden Tag aufs Neue für unseren Rechtsstaat einzutreten." Heute müssten alle gemeinsam allen Formen von Juden-Feindschaft und Antisemitismus, jeder Art von Diskriminierung und Ausgrenzung entschieden entgegentreten. "Erst sind es Worte, und dann folgen Taten. Beziehen Sie Position, zeigen Sie klare Kante, machen Sie sich stark für Toleranz, Respekt und Mitgefühl", appelierte der Bürgermeister. "Unfassbar" sei es, dass Antisemitismus in Deutschland wieder auf dem Vormarsch sei, verstärkt durch den Nahost-Konflikt. "Frieden werden wir niemals durch weitere Kriege erreichen."
Burckhardt Hölscher, Pfarrer im Ruhestand, hielt die zweite Ansprache, bei der er an zwei Verse aus Psalm 74 erinnerte, die Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer in der Pogromnacht in der Bibel unterstrichen hatte: "Sie verbrennen alle Häuser Gottes in dem Lande!" und "Kein Prophet ist mehr da und keiner ist bei uns!" Hölscher machte deutlich: "Wenn wir hier der Reichspogromnacht und ihrer Opfer in Iserlohn gedenken, dann erinnern wir auch an das Versagen der christlichen Kirche. Ich tue das mit Reue." Und er betonte: "Jede Gedenkveranstaltung ist immer auch Teil unserer Arbeit, ja unseres Kampfes dafür, dass in unserem Volk nie wieder eine menschenverachtende, gottlose Ideologie die Oberhand gewinnt, die Menschen zum Hass und zur Ausgrenzung aufhetzt, ihnen einen Stolz und ein Überlegenheitsgefühl einzureden versucht, das darauf angewiesen ist, andere schlecht zu machen; da wird die Kraft, die in jedem Menschen ist, zu einer teuflichen Kraft des Verderbens!"

Vom Gedenkstein durch die Stadt bis zum Mahnmal
Nachdem die Teilnehmer Steine auf den Gedenkstein gelegt hatten, startete der Marsch vorbei an den Stolpersteinen in der Innenstadt, bevor am Mahnmal am Poth Kränze niedergelegt wurden. Dort sorgte die Gruppe "PAX" für die Musik, Jörg Simon vom Jugendamt erläuterte noch einmal die Geschichte der Stolpersteine.

Nachgedacht

"Nie wieder"

Jennifer Katz über die Gedenkveranstaltung

"Klare Kante zeigen" - das forderte Michael Joithe am Donnerstagabend bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Und genau das haben der Bürgermeister und Burckhard Hölscher mit ihren Worten geschafft. "Tolle Reden", war von vielen anschließend zu hören.
Denn dass der im Ruhestand befindliche Pfarrer Hölscher kein Blatt vor dem Mund genommen hat, was das Versagen der christlichen Kirche in der NS-Zeit betrifft, beeindruckte ebenso wie die aktuelle "große teufliche Gefahr innerhalb der Religionen", die er thematisierte und anprangerte.
Joithe betonte eindringlich, dass "antisemitischen und jeder Form von rassistischen Ressentiments kein Platz in unserer Gesellschaft geboten werden darf." Keiner dürfte schweigend den Kopf zur Seite drehen. Die Ereignisse der grausamen Pogrome dürften sich niemals wiederholen. "Nie wieder", schloss der Bürgermeister. Und gerade dieses "Nie wieder" ließ so manchen schlucken, bevor es Applaus gab - was sich zwar aufgrund des Gedenkens zunächst unpassend anfühlte, aber dann doch unterstrich, was Anwesende empfunden haben, die gemeinsam ein Zeichen für die Hoffnung auf Frieden und gegen jede Form von Hass, Intoleranz und Gewalt setzen wollten.


Iserlohner Kreisanzeiger, 08.11.2023

Reinigungsaktion gegen das Vergessen

Die Mitglieder des Friedensplenums bringen die Stolpersteine in der Innenstadt wieder zum Glänzen. Michael May
Wenige Tage vor dem Gedenktag zur Reichspogromnacht reinigt das Friedensplenum Stolpersteine

Jennifer Theis

Iserlohn Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht zum 85. Mal. In dieser Nacht wurden in ganz Deutschland Synagogen in Brand gesetzt, darunter auch die Synagoge an der Mendener Straße. Um den Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken und ein Zeichen für Toleranz zu setzen, findet auch in diesem Jahr die Gedenkveranstaltung ab 18 Uhr am Gedenkstein der Synagoge statt.

Im Vorfeld reinigten einige Vertreter des Friedensplenums gemeinsam die Stolpersteine in der Iserlohner Innenstadt. Sie halten die Erinnerung an die jüdischen Nachbarn, die durch das NS-Regime umgekommen sind, das ganze Jahr über wach. „Wir reinigen die Stolpersteine immer wenige Tage vor der Veranstaltung, damit sie wieder glänzen“, erklärte Alexander Platte vom Friedensplenum.

Gestartet ist das Team am Alten Rathausplatz und hat dort die ersten Steine geputzt. Ausgerüstet mit Bürsten, Schwämmen und Reinigungsmitteln polierten sie weitere Stolpersteine an der Wermingser Straße. Dabei berichtete Platte von der Putzaktion in Letmathe, die sie im Januar dieses Jahres erstmals ins Leben gerufen hatten.

Weitere Aktionen geplant
Anlässlich des Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar hat das Friedensplenum die Stolpersteine in Letmathe gemeinsam mit dem Heimatverein gereinigt. „Wir freuen uns, dass diese Aktion entstehen konnte und möchten das im nächsten Jahr wiederholen“, verriet Alexander Platte. Dann ist auch eine Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schülern des Friederike-Fliedner-Berufskollegs geplant, die das Team unterstützen werden.

Die zehn neuen Stolpersteine, die erst vor wenigen Tagen verlegt worden sind, sollen im nächsten Jahr gereinigt werden.


 
Moderatorin Annegret Simon (vorne) richtete bewegende Worte an die Gäste. 
 
James Schultz-Anspacher (Mitte), Tochter Schyler und Ehefrau Dr. Susan Shachner-Schultz tragen sich ins Goldene Buch ein. Dennis Echtermann 
Iserlohner Kreisanzeiger, 28.10.2023

Friedensappell am Ende eines besonderen Tages

Die Abendveranstaltung nach der Stolpersteinverlegung steht unter dem Eindruck des Krieges im Nahen Osten

Iserlohn Der Eintrag von James Schultz-Anspacher und seiner Familie ins Goldene Buch der Stadt war am Donnerstag der Höhepunkt der Abendveranstaltung zur Stolperstein-Verlegung, aber nicht der einzige in der Städtischen Galerie.

Moderatorin Annegret Simon erinnerte an die Anfänge der Friedensbewegung in Iserlohn und wandte sich mit bewegenden Worten an die rund 100 geladenen Gäste: „1982 sind wir schon marschiert – und jetzt stehe ich hier und es ist wieder Krieg. Es ist unbegreiflich“, so Simon. Sie habe sich nicht träumen lassen, dass ein Krieg im Nahen Osten wieder Realität werden könne. Umso wichtiger sei es nun, ein Zeichen zu setzen für Frieden, Freiheit, Menschlichkeit und Demokratie – über Religions- und Ländergrenzen hinweg, sagte Annegret Simon und schloss so den Bogen zum Anlass, der Verlegung von zehn neuen Stolpersteinen in der Stadt.

Bürgermeister Michael Joithe wählte den Anlass, um an den kürzlich verstorbenen früheren Stadtarchivar Götz Bettge zu erinnern, einen Mann, der wie kein anderer mit der Geschichte Iserlohns verbunden gewesen sei. Auch ihm wolle man ein würdiges Andenken bereiten, denn: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, erinnerte Joithe an ein Zitat aus dem Talmud, das sich der Künstler Gunter Demnig, der „Vater der Stolpersteine“, als Inspiration gewählt hatte. Auch heute würden Menschen diskriminiert und ausgegrenzt, die Botschaft der Stolpersteine sei deshalb aktueller denn je. „Bei uns müssen alle Menschen frei und sicher leben können. Wir müssen sensibilisiert werden, wenn Menschlichkeit und Demokratie in Gefahr geraten.“

Rico Quaschny, Leiter des Stadtarchivs, schilderte den Leidensweg der Kaufmannsfamilie Ehrlich – von angesehenen und integrierten Mitgliedern der Iserlohner Gesellschaft zu ausgestoßenen und entrechteten Menschen, deren Leben nichts zählt. Im Fall von Martha Giebe sei es ihrem Großneffen James Schultz-Anspacher zu verdanken, dass inzwischen mehr über das Leben „der Frau von Willy Giebe“ bekannt sei und sie somit auch selbst ein Gesicht und damit ein würdiges Andenken bekommen habe.

Grüße von Gunter Demnig, dem „Vater der Stolpersteine“

Katja Demnig überbrachte die Grüße ihres 76-jährigen Ehemanns Gunter und freute sich in ihrer Rede darüber, dass die rund 130.500 Stolpersteine in 31 Ländern inzwischen das größte dezentrale Mahnmal der Welt seien. „Wer hätte vor 30 Jahren, als mein Mann die ersten Steine noch illegal – das heißt ohne Erlaubnis der Behörden – verlegt hat, damit gerechnet, dass das Ganze einmal so groß wird?“ Anfangs seien dem Künstler jede Menge „Stolpersteine“ in den Weg gelegt worden, aber seine Hartnäckigkeit und sein Ehrgeiz hätten sich ausgezahlt. „Wir sind bei jeder Verlegung vor Ort. Das ist für uns keine Routine, denn jeder Stein erinnert an ein persönliches Schicksal.“

James Schultz-Anspacher bedankte sich für die große Gastfreundschaft und Freundschaft, die er in Iserlohn erfahren habe. Der Gedenkstein für seine Tante gebe ihm das Gefühl, „alles dafür getan zu haben, ihr ein würdiges Andenken“ zu bewahren. Er habe das Gefühl, dass sei er Martha Giebe wie auch seiner Mutter schuldig gewesen. Auch die Paten der Stolpersteine, Schüler der Realschule am Hemberg, vom Friederieke-Fliedner-Berufskolleg und das Friedens-Plenum Iserlohn, kamen zu Wort. Der Werkschor Auerweg unter der Leitung von Ralf Tiemann sorgte mit Stücken von Rio Reiser und dem traditionellen „Die Gedanken sind frei“ für den überaus passenden musikalischen Rahmen des Abends. mmb


Iserlohner Kreisanzeiger, 28.10.2023

 
James Schultz-Anspacher (3. v. li.) und seine Tochter Schyler (4. v. li.) stellten sich im Friederike-Fliedner-Berufskolleg den Fragen der Schülerschaft. Miriam Mandt-Böckelmann 
 
„Habt ihr Diskriminierung erfahren?“, wollte Schultz-Anspacher wissen, woraufhin dieser Schüler seine Erlebnisse schilderte. 
Diskriminierung ist überall – gestern und heute

Nach der Stolpersteinverlegung haben die Schüler viele Fragen

Miriam Mandt-Böckelmann

Iserlohn Wie sehr die Schatten der Vergangenheit auf der Gegenwart liegen, weil unmenschliches Verhalten, Diskriminierung und Ausgrenzung auch heute noch – 78 Jahre nach dem Ende des Holocaust – zum Leben vieler Menschen gehören, wurde beim Zeitzeugengespräch deutlich, zu dem James Schultz-Anspacher und seine Familie am Freitag ins Friederike-Fliedner-Berufskolleg (FFBK) gekommen waren. Nach der Stolpersein-Verlegung (wir berichteten) und dem abendlichen Festakt (siehe unten) stellte sich die Familie aus New York den zahlreichen Fragen der Schülerinnen und Schüler des Anne-Frank-Projektkurses am FFBK und von zwei neunten Klassen der Realschule am Hemberg.

„Alle sollen miteinander reden und ins Gespräch kommen, Grammatik spielt da keine große Rolle. Traut euch, Fragen zu stellen“, betont Lehrer Tom Labern. Eine Ermunterung, die es so gar nicht bedurft hätte: Echtes Interesse am Leben des Großneffen von Martha Giebe, der Frau des Iserlohner Kino-Besitzers Willy Giebe, ist spürbar. Schultz-Anspacher erzählt auf Deutsch von „Tante Martha“: „Sie war eine freundliche und liebevolle Frau. Sie genoss es, Kinokarten zu verkaufen und so die Menschen in der Stadt, die sie liebte, mit auf eine Fantasie-Reise zu nehmen“, so der 72-jährige Amerikaner. Er sei dankbar für viele schöne Erinnerungen an eine bemerkenswerte Frau. „Tante Martha hat meiner Mutter viele schöne Stunden bereitet, wenn sie aus Iserlohn zu Besuch war.“

Martha Giebe vertraute auf ihr Versteck – und wurde verraten

Doch während Schultz’ Mutter 1938 nach vielen unerträglichen Erfahrungen schließlich vor den Nazis aus ihrer Heimatstadt Bremen in die USA floh, vertraute Martha Giebe auf ihr Versteck in Willy Giebes Heimatstadt Einbeck – doch sie wurde verraten und ermordet.

„Wie ist es Ihrer Mutter in den USA ergangen?“, wollen die Schüler wissen. Schultz-Anspacher berichtet von schweren Anfangsjahren für die junge Frau in dem fremden Land: „Sie hatte in jungen Jahren viel Schlimmes erlebt und das konnte sie nicht einfach vergessen. Außerdem war sie deutsch – und die USA führten Krieg gegen Deutschland. Sie wurde oft für eine Spionin gehalten und erlebte anfangs auch in ihrer neuen Heimat oft Diskriminierung – aufgrund ihrer Herkunft oder Religion“, so Schultz. Die Reaktion seiner Mutter: „Sie passte sich an und versuchte nicht aufzufallen. Auch meine Schwester und mich hat sie so erzogen“, erinnert er sich. „Wir haben immer den Kopf eingezogen und sind Konflikten aus dem Weg gegangen.“

„Ist ihre Mutter jemals wieder nach Deutschland zurückgekommen?“, lautet eine Frage. Die Antwort, ehrlich, aber direkt: „Meine Mutter hat Deutschland gehasst. Zu viele Familienmitglieder sind ermordet worden, das konnte sie nicht vergessen.“ Lediglich nach dem Tod ihres Vaters habe sie eine Ausnahme gemacht und das Land besucht. Aber: „Trotz allem wollte unsere Mutter ihre Kinder nicht beeinflussen. Meine Schwester und ich haben deutsche Lieder gesungen und sind nach Deutschland gefahren.“ Der erste Schritt zur Versöhnung sei gemacht worden.

Schyler Schultz spricht den jungen Leuten aus der Seele

Schultz erzählt vom Leben als gläubiger Jude in den USA: „Die Leute halten Amerika für ein sehr freies Land, aber es ist nicht so. Es gibt viel Ausgrenzung und Diskriminierung. Diese ist nicht angeboren, sie wird gelernt – heute wie damals“, sagt er.

Dann ergreift mit zitternden Händen Tochter Schyler Schultz das Mikro: In bewegenden Worten erzählt die 20-Jährige, wie sie selbst – mitten im als sonst so liberal geltenden New York – zum Opfer von Diskriminierung und Gewalt wurde, weil sie sich öffentlich zu ihrer Transidentität bekennt. „Ich habe nichts falsch gemacht“, sagt sie. „Mein einziger Fehler ist, dass ich existiere.“

Betretenes Schweigen, dann großer Applaus. Das Beispiel der jungen Frau zeigt: Ausgrenzung hat viele hässliche Gesichter – und sie ist überall. „Wer von euch hat schon mal Diskriminierung erlebt?“, will Schultz-Anspacher von den Schülerinnen und Schülern wissen. In der Turnhalle gehen viele Arme nach oben. Eine Schülerin zeigt auf ihr Kopftuch und sagt: „Als ich mich entschieden habe, den Hidschab zu tragen, habe ich dafür viel Kritik bekommen. Das war eine schwere Zeit.“

Ein junger Mann berichtet, dass er immer wieder aufgrund seiner Hautfarbe gemobbt werde. Es gibt viele persönliche Geschichten – und die traurige Gewissheit: Es hört nie auf, es gibt noch viel zu tun.


Iserlohner Kreisanzeiger, 27.10.2023

Peter May vom SIH verlegte die Steine mit viel Liebe zum Detail. Das wurde von allen Beteiligten geschätzt. Michael May 
Marie Fesser (vorne) von der Gedenkstätten-AG der Realschule am Hemberg trug Einzelheiten zum Leben der Familie Ehrlich vor. 
Insgesamt zehn neue Stolpersteine wurden verlegt. Hier die Erinnerung an Familie Ehrlich in der Gartenstraße 42. 
Gegen die Stille der Betroffenheit

Zehn neue Stolpersteine halten die Erinnerung an die jüdischen Mitbürger wach, die von den Nazis verfolgt wurden

Miriam Mandt-Böckelmann

Iserlohn Rote Rosen auf dem Gehweg an der Hans-Böckler-Straße 18, am Standort der ehemaligen „Villa Giebe“ in Höhe der Schauburg: Darunter – eingelassen in die Gehwegplatten – zwei glänzende bronzene Pflastersteine. Als sogenannte Stolpersteine sollen sie in der Tradition ihres Initiators, des Künstlers Gunter Demnig, seit 2006 auch in Iserlohn die Erinnerung an die Opfer des Holocaust lebendig halten. 20 Stolpersteine gibt es bereits, am Donnerstag sind zehn weitere Erinnerungsorte in der Innenstadt hinzugekommen.

Als Mahnung an die Lebenden schaffen sie den Spagat zwischen damals und heute: „Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, er stifte Frieden unter uns und ganz Israel, sprecht Amen“, liest James Schultz, der Großneffe von Martha Giebe, der zusammen mit ihrem Mann Willy, dem „Kino-König aus dem Sauerland“, an dieser Stelle gedacht wird, aus dem Kaddisch, dem jüdischen Totengebet, vor. Schultz ist mit seiner Frau Susan Shachner-Schultz und Sohn Schyler für die Verlegung aus dem New Yorker Stadtteil Brooklyn in die Waldstadt gereist: „Es war mir ein großes Anliegen, dass ein Stolperstein an meine Tante Martha erinnert, und ich bin sehr dankbar, dass ich in der Stadt bei Jörg Simon vom erzieherischen Kinder- und Jugendschutz auf so große Unterstützung gestoßen bin“, erzählt der 72-Jährige, dessen Mutter 1938 aus Bremen in die USA emigriert ist und so dem Schicksal von Martha Giebe entging, die in ihrem Versteck in Willy Giebes Heimatstadt Einbeck verhaftet und im Herbst 1943 in das KZ Auschwitz deportiert wurde, wo man sie am 6. Dezember 1943 ermordete.

Absage der Reise kam für die Familie nicht in Frage

Auf die Reise habe er sich schon lange vorbereitet, eine Absage aus Angst aufgrund der angespannten Weltlage sei für ihn deshalb auch nicht in Frage gekommen: „Das bin ich meiner Großtante schuldig. Der Stolperstein zeigt, dass sie nicht vergessen ist und soll eine Mahnung sein, dass so etwas nie wieder passieren darf“, so James Schultz.

Natürlich habe man sich im Vorfeld Gedanken im Planungsteam gemacht, ob und wie man die Sicherheit der Veranstaltung gewährleisten könne, berichtet Jörg Simon. „In Zusammenarbeit mit der Kreispolizeibehörde haben wir Maßnahmen getroffen. Auch am Abend wird die Polizei zum Beispiel Kontrollfahrten entlang der Stolpersteine unternehmen, damit diese unversehrt bleiben“, so der Organisator. Simon begrüßte die Anwesenden zu einem „denkwürdigen und bewegenden Moment für die Stadt Iserlohn“ – und das spiegelte auch die sehr gelungene respektvolle Gedenkveranstaltung wider, an der zahlreiche Beteiligte mitwirkten.

Den Anfang machten die Schülerinnen und Schüler der Realschule am Hemberg, die vor dem Haus Gartenstraße 42 an das Ehepaar Salomon und Regina Ehrlich (geb. Schwarz) sowie ihren Sohn Siegfried und dessen Frau Helene (geb. Boog) erinnerten und passend zur Verlegung der vier Stolpersteine wichtige Stationen aus dem Leben der bekannten Iserlohner Kaufmannsfamilie vortrugen. Regina Ehrlich starb vermutlich 1942 während der Deportation nach Minsk, ihr Ehemann Salomon starb entrechtet und gedemütigt im Alter von 78 Jahren in Iserlohn an Krebs. Sohn Siegfried Ehrlich starb nach Zwangsarbeit im KZ Sachsenhausen unter unbekannten Umständen am 6. März 1954 in Berlin. Seine Frau Helene Ehrlich war evangelisch und wurde aufgrund der sogenannten Mischehe mit einem Juden ausgegrenzt und drangsaliert. „Aber sie überlebte, 1946 heiratete sie erneut“, trug Marie Fesser stellvertretend für die Gedenkstätten-AG vor. Die Realschule hat außerdem die Patenschaft für die Stolpersteine in der Gartenstraße übernommen.

Katja Demnig, die für die Stiftung „Spuren“ an den Stolperstein-Verlegungen in ganz Deutschland teilnimmt und so die Idee ihres Mannes wachsen lässt, freute sich besonders über die Anwesenheit von vielen jungen Leuten: „Das Motto unserer Stiftung ist: Raus aus der Schule, klappt die Bücher zu und erfahrt Geschichte im echten Leben“, so Demnig, die – anders als sonst durchaus üblich – in Iserlohn bei der Verlegung nicht selbst zum Werkzeug greifen musste.

Peter May verlegt die Steine mit viel Liebe zum Detail

Diese Aufgabe übernahm Peter May vom SIH – und er tat es mit besonders viel Hingabe, Können und Liebe zum Detail. „Es freut mich zu sehen, wie ernst er diese Aufgabe nimmt – das ist für mich ein Zeichen der Wertschätzung und dafür bin ich ihm dankbar“, sagte James Schultz.

Ebenfalls an Mitglieder der Familie Ehrlich erinnern künftig die beiden Stolpersteine auf dem Gehweg vor dem Haus Wasserstraße 2a: Dort lebten Walter und Hedwig Ehrlich (geb. Fels) mit ihren Kindern Heinz Richard und Kurt Günter. 1939 zog die Familie nach Köln, von wo sie 1942 nach Minsk deportiert wurden.

Emily Katz vom Anne-Frank-Projekt-Kurs des Friederike-Fliedner-Berufskollegs trug den Poetry-Slam „Vergiss mein Nicht!“ vor: „Wir wollen, dass Ihr aufschreit gegen die furchtbare Stille der Betroffenheit, damit sich das Schlimme nicht wiederholt“, so Emily Katz.


Iserlohner Kreisanzeiger, 27.10.2023

Zehn neue Stolpersteine für Iserlohn

Bei der Verlegung von zehn neuen Stolpersteinen an drei Standorten in der Iserlohner Innenstadt verlas James Schultz (vorne), Großneffe von Martha Giebe, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurde, das traditionelle jüdische Totengebet Kaddisch. Der New Yorker hatte sich an die Stadt gewandt und so den Prozess der Denkstein-Legung für seine Großtante in Gang gebracht. Zusammen mit seiner Familie nahm der 72-Jährige am Donnerstag mit zahlreichen interessierten Iserlohnerinnen und Iserlohnern an der feierlichen Verlegung teil.


Iserlohner Kreisanzeiger, 14.10.2023

Ein Zeichen gegen den Terror

Der Alte Rathausplatz füllte sich am späten Freitagnachmittag recht spontan mit rund 100 Leuten. Grund war die Mahnwache anlässlich der Terror-Angriffe in Israel, organisiert vom Friedensplenum Iserlohn. Dessen Vertreter Detlev Paul, Bürgermeister Michael Joithe, Superintendentin Martina Espelöer und Ghfoor Awarahman, der vor fünf Jahren kirchliches Asyl suchte, um dem Krieg im Irak zu entkommen, nutzten den Anlass, um die Angriffe scharf zu verurteilen. Sie hoffen auf Frieden, damit nicht noch mehr Menschen ihr Leben verlieren müssen. Sie waren sich alle einig: Die Waffen müssen niedergelegt und auf eine Deeskalation hingearbeitet werden.kev


Iserlohner Kreisanzeiger, 13.10.2023

Kundgebung gegen Krieg und Terror

„FriedensPlenum“ ruft auf, Evangelischer Kirchenkreis unterstützt

Iserlohn Das „FriedensPlenum“ Iserlohn ruft an diesem Freitag um 17 Uhr zu einer Kundgebung auf dem Alten Rathausplatz unter dem Motto „Nein zum Terror! Gedenken an die getöteten zivilen Opfer. Wege zu Frieden und Verständigung im Palästinakonflikt suchen“ auf.

Das „FriedensPlenum“ ist laut eigener Mitteilung besonders erschüttert davon, dass Gäste eines friedlichen Konzertes durch Terroristen der Hamas getötet, verletzt und verschleppt worden sind. Bürgermeister Michael Joithe, Vertreter von Parteien und Kirchen sind um Redebeiträge gebeten worden. „Als Friedensgruppe bitten wir alle Menschen in Iserlohn um ihre Beteiligung an der Kundgebung, die ihre Trauer über das brutale Töten von unbewaffneten Menschen ausdrücken und sich gegen Gewalt und Hass aussprechen wollen“, heißt es in der Einladung.

Der Evangelische Kirchenkreis Iserlohn stellt sich in einer Mitteilung hinter die Mahnwache. „Ich verurteile den grausamen Angriff der Hamas auf Israel“, sagt Superintendentin Martina Espelöer und zeigt sich entsetzt darüber. „Krieg und Waffengewalt lösen keine Konflikte. (...) Die Nachrichten sind erschreckend und verstörend und zeigen wieder: Lasst die Waffen schweigen. Als Christen rufen wir auf zu Verhandlungen und Waffenstillstand“, heißt es unter anderem. Und: „Der Angriff auf jüdische Menschen schneidet uns als Christen mitten ins Herz.“


Iserlohner Kreisanzeiger, 21.09.2023

 
Ressortleiter Martin Stolte (Mitte) stellte die Einzelheiten der Verlegung am 26. Oktober vor. Im Vordergrund die zehn Gedenksteine. Michael May 
 
Anna Torres, Emelie Katzmann und Berufskollegleiterin Andrea Schumann (v. li.) berichten von den Vorbereitungen für die Gedenkfeier. 
 
Martha Giebe, hier mit ihrem Mann Willy, wurde von den Nazis ermordet, James Schultz-Anspacher 
Zehn neue Stolpersteine

Stadt plant umfangreiche Gedenkveranstaltung am 26. Oktober, bei dem auch Besuch aus den USA erwartet wird

Miriam Mandt-Böckelmann

Iserlohn Es hat sieben Jahre gedauert seit der letzten Verlegung, nun ist es wieder so weit: Zusätzlich zu den bisherigen 16 Stolpersteinen in Iserlohn und Letmathe werden weitere zehn Gedenksteine in Iserlohn verlegt. Die in den Boden eingelassenen quadratischen Tafeln aus Messing mit abgerundeten Ecken und Kanten sollen an die Iserlohner Mitbürger erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert und vertrieben wurden.

Die Idee geht auf den Berliner Künstler Gunter Demnig zurück, die ersten Stolpersteine wurden 1996 verlegt: Inzwischen ist das Projekt mit rund 75.000 Steinen in 1265 deutschen Kommunen und in 24 Staaten Europas das größte dezentrale Mahnmal der Welt. „Nach Hinweisen der Berliner Stolperstein-Initiative und nach umfangreichen Nachforschungen des Iserlohner Stadtarchivs werden die zehn neuen Stolpersteine ihren Platz vor Iserlohner Gebäuden und Orten finden“, sagte Martin Stolte, Leiter des Ressorts Generationen und Soziales, bei der Vorstellung der geplanten Verlegung.

Die Lage der Gedenksteine richtet sich nach dem letzten frei gewählten Wohnort der Person – und nicht nach dem Ort, an dem sie zuletzt gelebt hat, aber gezwungen war, dorthin umzuziehen oder vor den Nazis zu fliehen, was auch im Bezug auf die neuen Iserlohner Stolpersteine von Bedeutung ist. Gedacht wird der Jüdin Martha Giebe, geborene Anspacher, die seit 1914 mit Willy Giebe, dem sogenannten „Kino-König von Iserlohn“ verheiratet war. Willy Giebe wurde 1883 in Delmenhorst geboren und lebte später in Bremen. Um sich vor Verfolgung und Diskriminierung zu schützen, musste sich Martha Giebe in einem Gartenhaus am Rande von Willy Giebes Heimatstadt Einbeck verstecken. Dort wurde sie denunziert, verhaftet und im Herbst 1943 in das KZ Auschwitz deportiert, wo sie am 6. Dezember 1943 ermordet wurde. „Über Martha Giebe war bislang nur wenig bekannt, sie war aus dem Bewusstsein der Geschichtskultur der Stadt verschwunden“, sagt Rico Quaschny. Nach intensiven Forschungen in Einbeck und Bremen sei es nun doch gelungen, einiges über Giebes Biografie zu erfahren, aber es gebe durchaus auch noch „Lücken und Fragezeichen“. Immerhin gebe es inzwischen ein Foto von Martha und ihrem Mann Willy.

Über Martha Giebe war bislang nur wenig bekannt, sie war aus dem Bewusstsein der Geschichtskultur der Stadt verschwunden.
Rico Quaschny, Stadtarchivar

James Schultz reist zur Verlegung mit seiner Familie aus den USA an
Ihr Stolperstein soll an der Hans-Böckler-Straße 18 verlegt werden: An dieser Stelle befand sich bis zum Abbruch im Jahr 2011 die sogenannte Villa Giebe. Das Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete Wohnhaus, eines der ältesten Häuser an der ehemaligen Hagener Chaussee (später Hagener Straße, seit 1975 Hans-Böckler-Straße), war von einem Garten und einer Mauer umgeben, das zeigen historische Aufnahmen aus dem Stadtarchiv. Weil das Gebäude nicht mehr steht, soll zusätzlich zum Stolperstein eine Gedenktafel am Zaun angebracht werden.

Bei der feierlichen Verlegung werden Gäste aus den USA erwartet: James Schultz aus New York wird an seine Großtante Martha Giebe erinnern. Jörg Simon vom Erzieherischen Jugendschutz der Stadt Iserlohn hatte den Kontakt zu Schultz hergestellt und sein Anliegen begleitet. „Ende September 2022 habe ich einen Anruf von James Schultz erhalten. Er wünschte sich einen Stolperstein für seine Großtante, und nach Rücksprache mit dem Stadtarchiv haben wir das für eine gute Idee gehalten“, erinnert sich Simon.

Steine auch für Kaufmannsfamilie Ehrlich
Weitere neue Stolpersteine erinnern an die angesehene Iserlohner Kaufmanns-Familie Ehrlich, der sich Stadtarchivar Rico Quaschny in umfangreichen Forschungen, Veröffentlichungen und einem öffentlichen Vortrag bereits gewidmet hat (wir berichteten). So werden Stolpersteine für das Ehepaar Salomon und Regina Ehrlich sowie ihren Sohn Siegfried und dessen Frau Helene (Gartenstraße 42) sowie die Familie Walter und Hedwig Ehrlich mit den Kindern Heinz Richard und Kurt Günter (Wasserstraße 2 a) verlegt.

Die Patenschaft für die Iserlohner Stolpersteine haben das Friedensplenum sowie das Friederike-Fliedner-Berufskolleg und die Realschule am Hemberg übernommen, die die Verlegung mit eigenen Aktionen und Projekten begleiten werden. Am Berufskolleg soll zudem eine Gesprächsrunde mit James Schultz stattfinden. „Wir wollen mit unserem Schulprojekt zeigen, dass die Menschen nicht vergessen sind, und wollen alles dafür tun, dass sich die Geschichte nicht wiederholt – denn wir haben derzeit eine sehr brisante politische Lage“, sagte Andrea Schumann, Leiterin des Berufskollegs. Die Schülerinnen und Schüler planen Video-Installationen, die bei der Erinnerungsveranstaltung gezeigt werden sollen.


Boten Polka, Ska, Rock und mehr zum Mittanzen und Mitsingen: Silk Road Special am Samstagabend
Es durfte gerockt werden: Wie immer war die Vielfalt groß
"Zieht euch aus, macht 'ne Wall of Death": "Pils & Kippe" mit Sänger und Gitarrist Marco.
Brachial: das Wolfman Blues Orchestra am Samstag
Ein Friedens- und Familienfestival: Alt und Jung beim Feiern.
Eine weitere bunte Facette: der Brass-Walking-Act "Schwarz Rot Atemgold 09"
Konnten sich auf ihre zahlreichen Fans verlassen: Red Rooster
Iserlohner Kreisanzeiger, 19.06.2023

"Rumeskalieren", aber ganz entspannt

Tim Gelewski

Iserlohn Das war es schon wieder mit dem Friedensfestival: Drei Tage gute Stimmung, gute Musik und leckeres Essen auf dem Platz der Kulturen (Fritz-Kühn-Platz). „Der Freitag ist ruhig angelaufen, der Samstag war wahnsinnig gut. Wir sind sehr zufrieden“, sagt Alexander Platte vom Orga-Team.

Den Start machen am Samstag Pax X mit Rock-Songs, die durchaus gut ankommen, obwohl die meisten Besucher sich dann doch lieber noch im Schatten aufhalten. Ungeschlagene Meister des Publikum-in-die-Sonne-Lockens sind am frühen Samstagabend dann „Pils & Kippe“. Die spielen irgendwas zwischen punkverwurzeltem Liedermachertum, Polka und Chanson – das Ganze immer nach vorn („Musik zum Rumeskalieren“) und knarz-gurgelig vorgetragen von Sänger Marco, der auch im Sitzen das ist, was man hinlänglich als „Rampensau“ bezeichnet. „Zieht euch aus, macht ‘ne Wall of Death – mir egal“, fordert er das Publikum auf. Das allerdings tanzt lieber zu Stücken wie „Demokratie“.

Dann sinkt die Sonne, es steigen Schatten auf – und es ist ein bisschen schade, dass der Auftritt jetzt vorbei ist. Beim nächsten Mal vielleicht etwas später, spekuliert der Moderator, bevor es mit dem Wolfman Blues Orchestra weitergeht. Das klingt dann in etwa so, als würden Musiker von AC/DC und ZZ Top Songs der Rolling Stones spielen. Laut und dreckig – und man wundert sich, wie es den drei Musikern gelingt, so wuchtig zu klingen.

Eine ganz andere Schiene, aber stets tanzbar bieten dann Silk Road Special, die stilistisch irgendwo angesiedelt sind zwischen Ska, Polka, Fusion und Rock. Eindeutig zu letzterer Stil-Kategorie zählen die Festival-Veteranen Red Rooster, die bereits 1991 dabei waren und klar sichtbar als letzter Act des Abends ihre Fans in der Stadt haben. Schon als Sänger Achim Rabenschlag ans Mikro tritt, wird es laut – und so bleibt es vor und auf der Bühne.

Einer der bewegendsten Bühnenmomente: Als Masuma Haidari vom Schicksal des Volks der Hazara und dessen Verfolgung durch die Taliban in Afghanistan erzählt. Ein Teil ihrer Familie ist noch dort, unter Tränen verlässt sie die Bühne.

Der Freitag ist ruhig angelaufen, der Samstag war wahnsinnig gut. Wir sind sehr zufrieden.
Alexander Platte, Orga-Team

Helfer werden in Zukunft mehr benötigt denn je

Der Sonntag läuft wieder ruhiger an. The Funkophils bieten das, was der Name vermuten lässt, nämlich Funk, mit deutschen Texten – und somit einen angenehm entspannten Start in den Tag. Ebenso fügen sich Schwarzpaul ein, bei ihren Reggae- und Dancehall-Stücken wird die Beats-Zahl allerdings noch mal deutlich nach unten geschraubt.

Außerdem stehen am Sonntag noch Kunstfehler und Anderes Holz auf dem Programm – und es ist schwer und wäre unfair, bei diesem insgesamt gelungenen Line-Up jemanden eindeutig herauszuheben.

Damit alles klappt, heißt es für das Team um Alexander Platte auch in diesem Jahr wieder: Schwerstarbeit. Zwar gibt es um die 80 Helfer inklusive Parteien und Vereinen, der harte Kern sind aber kaum zehn Leute. „Wir haben junge Leute, die nachkommen, bei Helfern und Publikum. Aber es tröpfelt eher.“ Ein Grund, warum man wohl auch in Zukunft nicht parallel zum Schützenfest veranstalten will. Dann nämlich könnten helfende Hände im Kinderland (Betreuung) fehlen. Und das will man vermeiden.

Eine Fotostrecke finden Sie auf ikz-online.de


Wie kommen eigentlich die Bands zum Festival?

Martin vom Organisationsteam des Friedensfestivals erklärt, was den Machern des Friedensfestivals wichtig ist

Tim Gelewski

Iserlohn Ein Festival, ehrenamtlich, mit wenig Budget: Hier erklärt Martin vom Orga-Team, wie das geht und was wichtig ist.

Was ist deine Aufgabe und wie bist du dazu gekommen?
Ich habe mich 2005 als Helfer gemeldet und hab dann verschiedenes gemacht. Ich war auch gleich bei der Bandauswahl dabei. Ich habe mich dann unter anderem um die Kontakte zu den Bands und Verträge gekümmert.

Wie findet ihr geeignete Bands und wie funktioniert die Auswahl?
Die Bands finden uns und bewerben sich. Es gab aber auch schon Kontakte über andere Konzertveranstalter. Wir haben in der Regel um die 100 Bewerbungen. Diesmal haben wir 14 Bands ausgewählt, das Ganze ist eine Gemeinschaftsentscheidung.

Was muss eine Band für das Friedensfest mitbringen?
Wir nehmen grundsätzlich keine Coverbands. Es soll eigene Musik sein, gerne etwas ausgefallen. In den Städten haben sich Coverbands bei Veranstaltungen sehr etabliert. Wir wollen denen, die eigene Lieder spielen, eine Bühne bieten, legen auch Wert auf heimische Bands.

Es gibt Geschichten aus der Vergangenheit, wo Bands für Kost und Logis spielten und bei Förderern des Festivals auf dem Boden schliefen. Ist das noch so?
Das war früher so, aber da waren wir alle jünger. Mit Partner oder einer Familie wird es dann eng. Es sind aber auch nicht mehr viele, die eine Übernachtung brauchen, diesmal waren es drei, die schlafen dann im Hotel.

Ihr hattet ja schon Bands da, die in anderen Ländern die ganz großen Hallen füllen, zum Beispiel Doctor Krápula aus Kolumbien, die als linke Band vor der politischen Situation dort fliehen mussten. Gibt es eine Band, auf die ihr besonders stolz wart?
Bandista aus Istanbul waren toll, Atmasfera aus der Ukraine oder Marvalise aus Frankreich. Am Ende ist das aber Geschmackssache.

Viele Beteiligte sagen, das Festival sei etwas alt geworden bezogen auf Publikum und Macher. Die Musik junger Leute findet live kaum statt. Was könnte helfen?
Ich würde mir wünschen, dass es für Jugendliche mehr Probe- und Auftrittsmöglichkeiten gibt. Das könnte vieles beleben. Die Jugend hat halt einen anderen Musikgeschmack. Aber klar, wenn uns die nächste Generation wegbricht, besteht immer die Gefahr, dass es kleine Festivals wie das Friedensfest irgendwann nicht mehr geben wird. 


Jugend, Alter

Tim Gelewski

Vorweg: Das Friedensfestival ist eine tolle Sache für Iserlohn, vor allem am Samstag war es rappelvoll, die Stimmung gut, die Musik ebenso. Es fällt aber schon auf, dass die Veranstaltung selbst unter der Prämisse „umsonst und draußen“ nur wenig jüngeres Publikum anlockt. Auch das ehrenamtliche Orga-Team kommt langsam in die Jahre, das sagt es auch selbst, was die Veranstaltung mittelfristig vermutlich in Gefahr bringt.

Was also tun? Zunächst muss man natürlich festhalten, dass wenn man etwa Stream- oder Download-Charts betrachtet, dies überwiegend Musik ist, die nicht unbedingt für eine Livebühne gemacht ist. Die Musik der Jugend findet live also allgemein nur eingeschränkt statt. Dennoch gibt es sie natürlich, auch auf der Bühne – und hier zu vermitteln und diese Lücke zu schließen wäre sicher eine Aufgabe gewesen, die ein Kulturmanager, den es ja in Iserlohn nicht geben wird, hätte übernehmen können.

Eine gute Idee fände ich es, bei einer städtischen Veranstaltung mal eine kleine Bühne von jungen Leuten kuratieren zu lassen. Vielleicht unter Einbindung des Kinder- und Jugendrates oder auch anderer Institutionen. Ich glaube nicht, dass hierfür viel Budget benötigt würde.

Man darf nicht vergessen: Auch mit der Brandschutzproblematik im JuZ sind Probe- und Auftrittsmöglichkeiten in Iserlohn für junge Leute weggebrochen. Dass allgemein im Bereich Jugend und Kultur ein schweres Defizit besteht, hat ja auch der Kulturentwicklungsplan offenbart.

Klar, am Anfang würde vermutlich auch mal was schief gehen. Aber es wäre zumindest mal ein Anfang. Und ein Zeichen.


Iserlohner Kreisanzeiger, 17.06.2023

Das 31. Friedensfestival ist gestartet

Wenn sich ein weißlanghaariger Herr im Metal-Shirt, Punks, Menschen in Bathik-Klamotten oder auch Polohemd, Normalos und optisch weniger Normkonforme zwischen Oberster Stadtkirche und Bauernkirche treffen, dann ist Friedensfestival: Am Freitagabend ist nun die 31. Auflage gestartet. Den Auftakt machten die Bands Radionative, Melantonic, Superthousand und Relate. Zahlreiche Besucher kamen schon früh auf den in Sonne getauchten Platz der Kulturen. Zur Eröffnung sprach auch Michael Joithe – als erster Bürgermeister seit Annemarie Tzschachmann, die in den 70er und 80er Jahren zweite und stellvertretende Bürgermeisterin war. „In einer Zeit, als noch in Frage stand, ob das Festival überhaupt stattfinden darf“, so Detlev Paul vom Orga-Team. Joithe sagte, das Festival sei eine Aufforderung an alle Menschen, für Frieden einzustehen. Gleichzeitig lobte er das große ehrenamtliche Engagement der Iserlohner nicht zuletzt um die in die Waldstadt geflüchteten Ukrainer.


Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus: Die Historikerin Katja Hofbauer sprach am Donnerstag bei der Mahnmalveranstaltung zum Auftakt des 31. Friedensfestes. Foto: Michael May
Iserlohner Kreisanzeiger, 16.06.2023

Angst, Ausgrenzung und Vertreibung

Katja Hofbauer erinnerte zum Auftakt des 31. Friedensfestes an das Schicksal der Familie Koppel in Letmathe

Ralf Tiemann

Iserlohn Überall auf der Welt herrscht Krieg, nicht nur in der Ukraine und damit mitten in Europa. „Dennoch wollen wir heute der Opfer des Nationalsozialismus gedenken“, sagte Klaus Gith vom Friedensplenum am Donnerstagabend bei seiner Begrüßung zu der traditionellen Gedenkveranstaltung am Mahnmal am Poth, mit der alljährlich das Friedensfestival beginnt.

Staudamm brach vor 80 Jahren

Das Erinnern an die Zeit des Nationalsozialismus, so Gith, biete sich gerade wegen der Parallele zum Ukraine-Krieg an. Denn Mitte Mai 1943, also vor fast genau 80 Jahren, wurde die heimische Region durch die Bombardierung der Möhne-Talsperre von einer ähnlichen Flut verwüstet, wie jetzt Teile der Ukraine nach der dortigen Staumauersprengung. Im Mittelpunkt des Gedenkens am Donnerstag stand aber die Familie Koppel aus Letmathe – die unter der NS-Diktatur alles verlor und Angst, Ausgrenzung und Vertreibung erleiden musste, nur weil sie jüdischen Glaubens war, wie die Historikerin Katja Hofbauer, die die Familiengeschichte der Koppels erforscht hat, in ihrem Vortrag vor rund 40 Zuhörern erklärte. Um 1930 sei Letmathe noch eher ein Dorf mit knapp über 8000 Einwohnern gewesen. Vier davon waren Juden, die zuvor auch keine überlieferten Repressalien erleiden mussten, sondern vielmehr bemüht waren, sich anzupassen. Julius Koppel, der ein Textilgeschäft betrieb, hatte seinen drei Söhnen, denen er ein Studium ermöglichte, sogar teilweise deutsche Namen gegeben.

Sein Schicksal war dennoch schrecklich und steht für unzählige aus der Zeit. Schon früh ist ihm alles genommen worden, sodass er 1939 seine Heimatstadt verließ und nach Köln zog, wo er 1943 starb – er war wohl zu krank und schwach für eine Deportation ins KZ gewesen.

Nach dem Vortrag wurde ein Kranz am Mahnmal niedergelegt. Das 31. Friedensfestival startet am Freitag um 17.45 Uhr auf dem Platz der Kulturen an der Bauernkirche.


Iserlohner Kreisanzeiger, 03.06.2023

Friedensfestival-Programm steht

Helfende Hände werden noch dringend benötigt

Jennifer Katz

Das Orga-Team hofft in 14 Tagen auf einen vollen Fritz-Kühn-Platz. Foto Dennis Echtermann
Red Rooster holen ihren im vergangenen Jahr wegen Corona ausgefallenen Auftritt nach.
Iserlohn Der Countdown läuft, bis zur 31. Auflage des Iserlohner Friedensfestival sind es keine zwei Wochen mehr. Unter dem Motto „Krieg zerstört, Frieden verbindet!“ sollen vom 16. bis 18. Juni auf dem Platz der Kulturen (Fritz-Kühn-Platz) wieder jede Menge Musik, politische Denkanstöße und ein buntes Programm für Kinder geboten werden.

Das Organisationsteam um Alexander Platte ist weitestgehend zufrieden mit den Vorbereitungen, nur eines wird noch dringend benötigt: helfende Hände. Wer während des Festivals anpacken kann, ist ausdrücklich eingeladen, sich zu melden. Wegen eines fehlenden Layouters habe diesmal beispielsweise die Festival-Zeitung nicht erscheinen können.

Eröffnet wird das Spektakel traditionell bereits am Donnerstag mit der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Am 15. Juni ab 18 Uhr wird am Mahnmal am Poth die Historikerin Katja Hofbauer über das Schicksal der jüdischen Familie Koppel aus Letmathe sprechen.

Rund um die Bauernkirche geht es am Freitag, 16. Juni, ab 17.45 Uhr los. Der Bürgermeister wird das Festival offiziell eröffnen, bevor Bands und Redner die Bühne übernehmen. „Wir wollen nicht nur auf die Missstände in der ganzen Welt und vor Ort aufmerksam machen, sondern auch hier bei uns, im Kleinen, ein friedlicheres Miteinander schaffen. Das geht am besten, wenn wir zusammen feiern. Die Musik verbindet, gutes Essen sowieso, und wir kommen miteinander ins Gespräch“, schreiben die Verantwortlichen in ihrem Flyer.

Iraner und Hazara schildern ihre Schicksale

Und so wird die Situation eines iranischen Geflüchteten, der seine Geschichte aufgeschrieben hat, vorgetragen – er selbst will sich aus Angst nicht zeigen. Auch Hazara werden ein Schicksal schildern. „Eventuell kommen auch Ukrainer, um von ihrer Lage zu berichten“, sagt Platte, der in engem Kontakt zum Verein Vereinte Ukrainer, die sich diesmal sehr stark als Helferinnen und Helfer engagieren würden, steht. Hazara und Ukrainer werden auch mit eigenen Ständen auf dem Festival vertreten sein.

Stichwort Stände: Das gastronomische Angebot bereichern die Gruppen ebenso wie Anbieter von Speisen aus Thailand und Afrika, es gibt alles von veganer Kost, Crêpes, Bratwurst und vieles mehr. Das traditionelle Kuchenbüfett soll erneut aufgebaut werden, dafür werden allerdings auch noch dringend Spenden benötigt. „Zum ersten Mal hat die Waldstadt-Brauerei einen Stand bei uns, wir wollen die regionalen Produkte unterstützen“, erzählt Platte. Wein und Sekt komplettieren das Angebot.

Für die Kleinsten gibt es wieder das „Kinderland“, das in diesem Jahr sogar mit zwei Hüpfburgen aufwarten kann. Basteln, Kickern, Schminken, Haareflechten und vieles mehr können die Mädchen und Jungen diesmal am Samstag und Sonntag jeweils von 16 bis 19 Uhr kostenfrei nutzen. Am Samstag um 17 Uhr wird außerdem der Zauberer „Hokuspokus Farbenfroh“ zu Gast sein und unter anderem Luftballonmodellage im Gepäck haben. Am Sonntag ist die Zirkusschule Petit an Bord. Unterstützung gibt es obendrein vom „Checkpoint“, finanzielle Hilfe kommt zum zweiten Mal von der Kinderlobby.

Für das musikalische Programm ist Martin Eichelberg zuständig. Er verspricht einen bunten Mix aus verschiedensten Genres, von Reggae über Rock bis hin zu Blasmusik. „Nachdem Red Rooster im vergangenen Jahr als Topact geplant waren, aber wegen Corona absagen mussten, holen sie ihren Auftritt diesmal nach“, so Eichelberg.

Wegen Erkrankungen ausgefallene Gigs nachholen

Eine zweite Chance bekomme auch Kunstfehler: „Der Sänger hatte sich während des Konzerts beim Sprung von der Bühne den Fuß verletzt, der Auftritt musste abgebrochen werden. Es hat etwas gedauert zu planen, einige Absagen hatte es gegeben“, sagt Eichelberg, der sich nun jedoch auf ein „gutes, rundes Programm“ freut. Insgesamt 15 Bands werden am Start sein, darunter auch Paxx, die Festivalcombo. Nicht auf der Bühne, sondern auf dem Platz wird am Samstag eine Sambagruppe zu erleben sein, am Sonntag dann die Gruppe Schwarz Rot Atemgold 09 mit „Ruhrskaworldjazzbrass“.

Platte spricht allen Ehrenamtlichen, die das Festival vorbereiten, einen großen Dank aus: „Sie opfern alle ihre Freizeit.“


Iserlohner Kreisanzeiger, 15.05.2023

Friedensfestival wird finanziell abgesichert

Iserlohn Das 31. Friedensfestival, das vom 16. bis 18. Juni auf dem Fritz-Kühn-Platz stattfindet, ist im Fall eines Ausfalls abgesichert. Alexander Platte vom Verein „Friedensfestival Iserlohn“ hatte einen Antrag auf Unterstützung gestellt. Der Kulturausschuss beschloss einstimmig, den Veranstaltern einen Zuschuss auf Fehlbedarfsfinanzierung zu gewähren.

Das bedeutet, dass der Zuschuss nur gezahlt wird, wenn das Projekt mit einem entsprechenden Defizit abgeschlossen wurde. Da der Antrag erst nach den Beratungen über den Haushaltsplan und die Förderungen für Vereine und Verbände im Jahr 2023 gestellt wurde, stehen dafür eigentlich keine Haushaltsmittel zur Verfügung.

Dem Verein wird daher zunächst ein Zuschuss bis 2000 Euro aus dem Reservefonds des Fördertopfes gewährt, wenn ein entsprechendes Defizit vorliegt. Sollte das Defizit wider Erwarten höher ausfallen, soll im Kulturausschuss am 30. August über eine Erhöhung beraten werden. kk


Der Ostermarsch für Frieden und Menschenrechte führte von Iserlohn nach Hemer Fotos: Ralf Engel
Die Band „Pils & Kippe“ spielte auf der Abschlusskundgebung auf dem Hademareplatz.
Iserlohner Kreisanzeiger, 11.04.2023

Den Traum vom Frieden nicht aufgeben

Von Ralf Engel

Hemer/Iserlohn „Dass wir ein weiteres Jahr mit Krieg in Europa hier stehen müssen, ist eine Katastrophe“, sprach Detlef Paul vom Friedensplenum Iserlohn vielen Ostermarschierern wohl aus der Seele. Für Frieden und Menschenrechte und gegen Rassismus und Unterdrückung gingen an Karsamstag über 100 Bürger auf die Straße. Der Ostermarsch 2023 führte diesmal von Iserlohn nach Hemer.

Das Iserlohner Friedensplenum und das Friedensbündnis Hemer hatten zu der Demonstration eingeladen. 2022 war in Anbetracht des russischen Angriffs auf die Ukraine nach fast drei Jahrzehnten Pause an die alte Tradition der Ostermärsche angeknüpft worden. Nach der Begrüßung auf dem Alten Rathausplatz in Iserlohn machten sich rund 70 Bürger zu Fuß über den Bahntrassenradweg auf den Weg nach Hemer. Unter ihnen war auch Hemers Bürgermeister Christian Schweitzer. Die Resonanz war nicht größer als im Vorjahr.

102 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht

Auf dem Hademareplatz konnte Katja Schönenberg vom Friedensbündnis dann weitere Teilnehmer begrüßen, unter ihnen Geflüchtete aus dem Iran, Syrien und Afghanistan. Sie erinnerte daran, dass nach Zahlen von Amnesty International weltweit 102 Millionen Menschen auf der Flucht seien. Ihre Menschenrechte würden verletzt, ihre Lebensgrundlage geraubt. Mit den Menschen im Kriegsgeschehen und den Geflüchteten wolle dieser Ostermarsch Solidarität zeigen. „Wir wollen zeigen, dass der Traum vom Frieden noch nicht aufgegeben ist“, so Katja Schönenberg.

Bürgermeister Christian Schweitzer erinnerte daran, dass in mehr als 30 Ländern Krieg herrscht. Millionen Kindern werde die Kindheit und die Zukunft geraubt. „Krieg kennt keine Gewinner“, betonte Schweitzer. Aber was könne vor Ort geleistet werden? Hemer habe rund 800 Geflüchtete aufgenommen. Am Beispiel eines aus Russland stammenden Schülers, der in einer Grundschule wegen seiner Herkunft angegangen werde, appellierte der Bürgermeister, darauf zu achten, wer Verursacher, Schuldiger sei. Der Schüler könne gar nichts für den Krieg in Russland. Wie stehe es um die Beziehung zu Schelkowo? „Wir brauchen am Ende wieder einen Weg, aufeinander zuzugehen“, so Schweitzer. Es brauche einen Weg für Diplomatie.

Ralf Linke und Sandra Serk vom Friedensbündnis erinnerten an die lange Tradition der Ostermärsche seit 1958. Sie brachten die Hoffnung zum Ausdruck, dass nicht noch ein weiterer Ostermarsch im Krieg stattfinden müsse. Das Friedensbündnis Hemer stehe für die Einhaltung der Menschenrechte, Gewaltlosigkeit und einen ökologischen Kulturwandel.

Ismael als Vertreter der aus Afghanistan geflüchteten Hazara machte auf die Verletzung der Menschenrechte und Unterdrückung der Frauen durch die Taliban „vor den Augen der Welt“ aufmerksam.

Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban

Er forderte die Anerkennung des Völkermords und eine Nichtanerkennung der Taliban als afghanische Regierung. Nur ein erhöhter Druck auf die Taliban und eine stärkere Beobachtung der Situation vor Ort könne die Lebensumstände der Hazara verbessern. Pastor Friedhelm Gröne erinnerte an die Bibel als eine der Wurzeln der Osterwanderer. „Wenn unser Herz nicht brennt, dann haben wir verloren“, warb er, sich gemeinsam auf den Weg der Hoffnung zu machen.

Musikalisch umrahmt wurde die Abschlusskundgebung durch die Band „Pils & Kippe“ und die Gruppe „Paxx“. „Slawa Ukraini“ und „We shall overcome“ waren die musikalischen Friedensbotschaften.


Iserlohner Kreisanzeiger, 06.04.2023

Ostermarsch für Frieden und Solidarität

Iserlohn Auch in kriegerischen Zeiten möchte das Friedensplenum den Traum vom Frieden wach halten und veranstaltet zusammen mit dem Friedensbündnis Hemer an diesem Samstag, 8. April, ab 10 Uhr einen Ostermarsch ausgehend vom Alten Rathausplatz in Iserlohn nach Hemer.

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine überschatte gerade die vielen anderen Kriege und bewaffneten Konflikte auf der ganzen Welt. „Weltweit sind Millionen Menschen von Kriegen und deren Folgen betroffen. Unzählige Menschen sind auf der Flucht und einige von ihnen haben in Deutschland Zuflucht gefunden“, teilt das Friedensplenum mit. Der Ostermarsch soll, so die Organisatoren, die Solidarität mit allen von Krieg und Vertreibung betroffenen Menschen zeigen. „Jeder, der den Traum vom Frieden teilt und sich für echte Friedenslösungen einsetzen möchte“, ist vom Friedensplenum und Friedensbündnis Hemer zu Teilnahme aufgerufen.


Fatima Fazly (2. v. li.) informierte am Dienstag unter anderem Bürgermeister Michael Joithe (li.) und die Bundestagsabgeordneten Paul Ziemiak und Bettina Lugk über das Schicksal der Hazara.
Die Informationsveranstaltung im Ratssaal über den Völkermord an den Hazara stieß auf großes Interesse. Fotos: Dennis Echtermann
Iserlohner Kreisanzeiger, 06.04.2023

Ein Völkermord, der kaum wahrgenommen wird

Die Iserlohner Hazara informieren im Ratssaal über das Schicksal ihres Volkes und hoffen auf Unterstützung vom Bund

Von Ralf Tiemann

Iserlohn Die Liste der Konflikte, Kriege und gewaltsamen Unterdrückung ganzer Volksgruppen auf dieser Welt ist lang, und es liegt wohl in der Natur der Sache, dass nicht alle gleichsam in Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung präsent sind. Nach dem, was Fatima Fazly am Dienstag im Iserlohner Ratssaal über das Schicksal der Hazara geschildert hat, erstaunt es schon, wie wenig dieser über inzwischen rund 150 Jahre tobende Völkermord bei uns bekannt ist.

Die einstmals größte und hauptsächlich schiitische Volksgruppe Afghanistans wurde seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert von den größtenteils sunnitischen Machthabern der Paschtunen in zahlreichen Massakern dezimiert, vertrieben, versklavt und unterdrückt. Heute stellen sie nur noch 16 Prozent der afghanischen Bevölkerung, der Genozid keimt aber unter der aktuellen Taliban-Regierung wieder voll auf. Und damit nun auch eine weltweite Protestbewegung, die unter dem #StopHazaraGenocide die grausamen Gräueltaten in den Fokus stellt und um Anerkennung kämpft.

Genau das hat auch die kleine Iserlohner Hazara-Community im Sinn – rund zehn Familien, die bereits im vergangenen Dezember unterstützt vom Iserlohner Friedensplenum auf dem Fritz-Kühn-Platz für ihre Belange demonstriert haben. Ihre Hauptziele sind: Die Anerkennung des Völkermords, was auch ihren Status als Asylbewerber verbessern würde, und eine Nichtanerkennung der Taliban als afghanische Regierung. Nur ein erhöhter Druck auf die Taliban und eine stärkere Beobachtung der Situation vor Ort könne die Lebensumstände der Hazara verbessern.

Abgeordnete für die Sache der Hazara gewinnen

Schon im Dezember kam die Iserlohner Gruppe auf das Friedensplenum zu, um über eine Informationsveranstaltung die Iserlohner Bundestagsabgeordneten Bettina Lugk (SPD) und Paul Ziemiak (CDU) zu erreichen und für ihre Sache zu gewinnen. Dem ist Alexander Platte vom Friedensplenum nun nachgekommen. Bürgermeister Michael Joithe stellte dazu den Ratssaal zur Verfügung, und Lugk und Ziemiak nahmen sich die Zeit, um sich von den Iserlohner Hazara und von Fatima Fazly als eine der Sprecherinnen der deutschlandweiten Protestwelle eingehend informieren zu lassen. Deutlich wurde dabei auch, wie sehr die Verfolgung der aus dem mongolischen Kulturkreis stammenden und durch ihre asiatischen Züge auffallenden Hazara rassistisch motiviert ist. Ebenso wurde deutlich, dass sich die Hazara sehr deutlich von den fundamentalistisch-islamistischen Machthabern darin unterscheiden, dass Frauen vollkommen gleichberechtigt sind.

Viele in Iserlohn lebende Hazara sind erst 2018 hierhergekommen. Fatima Fazly lebt hingegen schon seit 30 Jahren in Deutschland. Sie schilderte das Leid ihres Volkes sehr emotional mir großer persönlicher Anteilnahme – ihre eigene Familie habe über viele Generationen hinweg Opfer zu erleiden.

Sie selbst wollte mit ihrer Geschichte und dem Konflikt mit den Afghanen lange Zeit nichts zu tun haben. Erst die aktuellen Massaker und Übergriffe der Taliban gegen ihre Volk hätten sie zum Umdenken gebracht. „Dieses ganze Thema wurde viel zu lange von der Weltöffentlichkeit verdrängt.“

Wie ist die Situation der Hazara in Deutschland?

Ihre Community in ganz Deutschland ist mit rund 30.000 Mitgliedern relativ klein. Bedeutender sind ihre Gruppen in Australien, Skandinavien und auch Österreich. Angesichts einer recht großen afghanischen Community von rund 300.000 Menschen wollte Paul Ziemiak wissen, inwieweit sich die Übergriffe und der Rassismus auch in Deutschland fortsetzen, was aber in der Diskussion am Dienstag nicht wirklich aufgelöst werden konnte.

Hauptthema war in der Aussprache vor allem eine Verbesserung des Asylstatus der Hazara – für sie gelte in Deutschland wie für alle Afghanen nur ein Abschiebeverbot – und ein möglicher Missbrauch der deutschen Asylmöglichkeiten durch die Taliban. Vor allem aber möchten die Iserlohner Hazara erwirken, dass sie über die Iserlohner Bundestagsabgeordneten die Möglichkeit bekommen, im Bundestag zu sprechen und vor einer parlamentarischen Gruppe argumentieren und Dokumente vorlegen können.

Ein zählbares Ergebnis hatte das Treffen am Dienstag nicht, es ging zunächst einmal um Information und darum, die beiden Politiker für das Thema zu gewinnen, was ohne Zweifel gelungen ist. Sowohl Ziemiak als auch Lugk erklärten, sich der Sache der Hazara anzunehmen und ihnen zu helfen.


 Iserlohner Kreisanzeiger, 27.01.2023

Dietmar Eggeling (v.li.), Burckhardt Hölscher, Klaus Gith, Yvonne Simon und Alexander Platte putzen vor der Bahnhofstraße 2 die „Stolpersteine“, die an Cäcilie und Julius Meyberg erinnern. MMB
Am 9. November 1938 wurden Laden und Wohnung der Familie geplündert. SA-Männer warfen Möbel aus dem Fenster. Heimatverein
Seit 2009 gibt es die „Stolpersteine“. Im Gedenkbuch der Bundesregierung gibt es die Schreibweisen Cäcilia sowie Cäcilie.
Putzen gegen das Vergessen

Friedensplenum und Heimatverein kümmern sich gemeinsam um Letmather „Stolpersteine“

Von Miriam Mandt-Böckelmann

Letmathe Seit Mittwoch glänzen sie wieder – und erfüllen damit rechtzeitig zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar den Zweck, der ihnen einmal zugedacht wurde: „Die drei ,Stolpersteine’ in der Letmather Innenstadt wurden 2009 auf Bestreben eines ökumenischen Initiativkreises verlegt, um an die jüdischen Mitbürger zu erinnern, die hier einst lebten, bis sie von den Nazis gedemütigt, entrechtet, vertrieben und schließlich ermordet wurden“, erklärt Pfarrer im Ruhestand Burckhardt Hölscher, der damals an dem Projekt beteiligt war. Die „Stolpersteine“, kleine in den Bürgersteig eingelassene Messingquadrate, sind das größte dezentrale Mahnmal der Welt. In Iserlohn und Letmathe gibt es davon insgesamt 16.

Für die diesjährige Putzaktion kam es erstmals zur Zusammenarbeit zwischen dem Friedensplenum Iserlohn und dem Heimatverein Letmathe. „Wir freuen uns, dass es diese Partnerschaft jetzt gibt“, sagte Alexander Platte vom Friedensplenum. Es sei wichtig, sich auch über die Grenzen der Innenstadt hinweg für gemeinsame Ziele zu engagieren. Für Alexander Platte ist die Botschaft in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus wichtiger denn je: „Die ,Stolpersteine’ zeigen, dass die Menschen und das Unheil, das ihnen zugefügt wurde, nicht vergessen werden.“

Die „Stolpersteine“ sollen zum Nachdenken anregen

Vereinzelt vorgebrachte Argumente gegen die Kunst-Aktion, wie zum Beispiel, dass sich die Steine nur auf den Tod der Menschen, nicht aber auf ihr individuelles Leben bezögen, oder dass ihre Lage auf dem Boden kein Gedenken auf Augenhöhe erlaube – zumal die Menschen in den Häusern und nicht auf den Straßen gelebt hätten –, lässt Platte nicht gelten: „Ich finde, sie erfüllen ihre Aufgabe. Die Menschen ,stolpern’ im übertragenen Sinne darüber und kommen dabei ins Nachdenken.“

Damit die Steine wieder die Aufmerksamkeit der Passanten erregen können, ging es ans Schrubben: Scheuermilch, Edelstahl-Topfreiniger und Lennewasser taten an der Bahnhofstraße 2, direkt neben der Lennebrücke, ihren Zweck.

Hier wohnte die Familie Meyberg, die dort ein Textilgeschäft betrieb. Historikerin Katja Hofbauer erforschte das Leben von Cäcilie und Julius Meyberg sowie das ihres Adoptivsohnes Heinrich, genannt Heinz. Sie sagte seinerzeit bei der Eröffnung des „Gedenkweges“: „Die Meyerbergs haben 39 Jahre lang in dieser Stadt gelebt, aber die Nationalsozialisten haben mit viel Erfolg ihre Spuren verwischt.“ So sei das, was mit der Familie geschah, zum Teil nur schwer oder gar nicht zu klären.

Fest steht: Ihr Geschäft lief immer schlechter. Von der Hagener Straße 32, wo sie jahrzehntelang gelebt und gearbeitet hatten, mussten sie 1935 an die Bahnhofstraße ziehen. „Es ist der letzte selbstgewählte Wohnsitz in Deutschland“, so Hofbauer. Sohn Heinz sei im März 1936 über Holland nach Argentinien ausgewandert. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 plünderten SA-Männer den Laden, zerstörten die Wohnung und warfen das Mobiliar aus dem Fenster auf die Straße.

Im April 1939 zogen die Meybergs an die Unnaer Straße nach Iserlohn. „Vielleicht hofften sie, dort unauffälliger leben zu können“, vermutet die Historikerin. 1942 musste das Paar Iserlohn verlassen, am 30. Juli 1942 wurden sie von Dortmund aus ins KZ Theresienstadt deportiert, von wo sie am 23. September 1942 zusammen mit fast 2000 anderen Menschen ins Vernichtungslager Treblinka gebracht wurden. „Cäcilie und Julius Meyberg waren 67 und 66 Jahre alt. Wann genau sie dort ermordet wurden, ist nicht mehr festzustellen.“

Sohn Heinz stellte Mitte der 1950er Jahre bei der Stadt Iserlohn einen Antrag auf Entschädigung für das ihm und seinen Eltern zugefügte Leid, so Hofbauer. „Die Entscheidung darüber fiel im Januar 1959. Heinz Meyberg hat sie leider nicht mehr erlebt. Er war einige Monate zuvor mit nur 42 Jahren in Argentinien verstorben. Seine Frau und seine Tochter beerbten ihn.“

Weiter ging es für die Vertreter vom Friedensplenum und Heimatverein auf ihrem Weg zur Hagener Straße 58, wo ein „Stolperstein“ an den jüdischen Kaufmann Julius Koppel erinnert.

Auch seine Wohnung wurde in der Reichspogromnacht stark beschädigt, auch er musste sich dem zunehmenden Druck der Nazis beugen: Koppel zog im Juli 1939, nach Köln, wo er – verarmt, einsam und krank – im August 1942 starb.