Rede von Pfarrer Dr. Gottfried Abrath zur Gedenkveranstaltung am Poth am 01.07.2010

Die unerträgliche Leichtigkeit des Krieges

Liebe Freunde des Friedens!
Liebe Freundinnen des Gedankens: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Liebe Mitbürger aus nah und fern!

Im Spiel Deutschland gegen Ghana am 18.Juni stand es lange Zeit 0:0.
Im Krieg Deutschland gegen Afghanistan steht es länger als auszuhalten 43:32.000 - Tote.
Das eigentlich Erschütternde ist, dass der erste Sachverhalt so gut wie jeden Deutschen brennend interessierte, der zweite aber keine Schlagzeile wert ist.

Innerhalb von nur 10 Monaten spielten sich Dinge ab, die es in 60 Jahren Bundesrepublik so nicht gegeben hat.
Plötzlich gab man zu: Ja, es ist ein Krieg. Die deutsche Regierung ist von einem der wichtigsten Grundsätze der Nachkriegszeit ganz offiziell abgewichen. Und ich weiß nicht, ob es die Sache wirklich besser macht, dass sie dazu steht.
Mehr noch: in schmerzender Arglosigkeit hat man eine „deutsche Besatzungszone“ in Afghanistan eingerichtet, als habe man das moralische Recht als „Siegermacht“ einen Unrechtsstaat zu besetzen.
Dann spricht der Verteidigungsminister in frühkindlicher Pädagogik von „unseren Helden“. Dass junge deutsche Männer hier in einem weitgehend sinnlosen Einsatz sterben, lässt sich eben nicht sagen, ihr Tod bedarf eines höheren Sinnes, statt das man ihn verhindert hätte. Mehr als 40 tote Soldaten sind in unserer republikanischen Geschichte ein Riesenskandal. Hier war die Presse noch auf Ballhöhe.
Das Schlimmste aber war, und hier wird die Leichtigkeit des Krieges unerträglich, der Tod von mindestens 142 Menschen bei Kunduz, die meisten Zivilbevölkerung. Das ist die höchste Opferzahl seit Beginn des Krieges bei einer Einzelaktion. Oberst Klein wollte, wie er es nannte „vernichten“. Als „Affaire“ wird dies verkleinert, unübersichtlich, unangenehm mit dem deutlichen Appell: Lasst es uns doch vergessen!
Genau das darf nicht geschehen!
Aber genau das geschieht permanent, wird auch von den Medien weitgehend totgeschwiegen. Wie viel wichtiger erscheint das WM-Finale, eventuell noch General McChrystal, als Zivilopfer.
Als am Karfreitag 2010 drei deutsche Soldaten starben, war dies ein großes Thema. Man musste aber sehr genau recherchieren, um zu erfahren, dass am selben Tag 6 afghanische Soldaten im Marderfeuer umkamen, weil sie mit einem zivilen Ford-Ranger nicht schnell genug auf Anhaltesignale reagierten. Auch das deutsche Fernsehen war nicht interessiert an neuen Skandalen.
Lassen wir uns nicht für dumm verkaufen! Wir alle haben die Möglichkeit, uns genau zu informieren und dann zu protestieren.
Nie wieder Krieg – das ist unsere Position doch auch deshalb, weil wir wissen: in einem modernen Krieg sind 85% der Opfer Zivilbevölkerung, weit mehr als im schrecklichen Zweiten Weltkrieg. Nie wieder Krieg deshalb, weil wir wissen: es passieren entsetzliche Fehler. Wenn diese vertuscht, verheimlicht werden, verdoppelt sich die Schuld. Nie wieder Krieg darum, weil es in unserer Seele eingeschrieben ist: Tötest du einen einzigen Menschen, so tötest du eine ganze Welt.
Der moderne Krieg ist anonym. Das Pentagon setzt sogenannte unbemannte Flugzeug-Drohnen ein, „Predatoren“ = Raubtiere, die ihre ohnmächtigen Opfer wie Raubtiere reißen. Ihre Einsatzzahlen sind um 1400% gestiegen. Zudem haben sie im ganzen Land zu einer gefährlichen radioaktiven Uran-Verseuchung geführt.
Ein Afghane, Opfer eines Bombeneinsatzes klagt:
«Hätten sie uns auf einmal umgebracht, wäre es nicht so schlimm. Aber die Amerikaner haben nicht nur uns heute Lebenden, sondern auch allen kommenden Generationen unseres Volkes, unseren Kindern und Kindeskindern, das von Gott gegebene Menschenrecht genommen: das Recht auf Leben. Sie töten uns auf alle Ewigkeiten hinaus“
Unser deutsches kollektives Bewusstsein müsste aufschreien bei solchen Kriegen, wie es geschrien hat im Vietnamkrieg.
Die Bundesregierung hingegen folgt der Strategie „mehr desselben“ und erhöhte seit 2001 ihre Truppen um 300%. Erst waren es 1800, neuerdings 5350 Soldaten.
Realistisch betrachtet ist ein Abzug in weiter Ferne, wenn er auch immer wieder betont und dann hinausgeschoben wird.
Natürlich kann hier ein nationaler Alleingang auch nicht der richtige Weg sein. Wir müssen als Gesellschaft versuchen, internationale Friedenspolitik zu betreiben. Jetzt nicht sich aus der Verantwortung ziehen, sondern am Verhandlungstisch dafür kämpfen, dass alle Nationen den richtigen Weg finden.
In Zukunft aber sollten wir für unser Land glasklar festlegen: kein Kriegseinsatz mehr, dafür umso stärker und nachhaltiger humanitäre Hilfe. Nicht nur den Finanzminister wird das erfreuen. Geopolitisch überzeugend handeln heißt eben beweisen, dass man für Menschenrechte eintritt, indem man sie praktiziert.
Aber will man Menschenrecht oder Bodenschätze? Im Pentagon (gerade da!) spricht man von Afghanistan als „dem Saudi-Arabien des Lithiums“. War Köhler etwa doch Sprecher der wirtschaftlichen Argumente, als er den Handelskrieg ansprach?
Deutschland gegen Ghana. Nach einer Stunde fällt das Tor durch den deutschen Muslim Özil, das die ganze Nation vor ihren Bildschirmen erlöst.
O könnte es noch andere Erlösung geben für unser Volk, das sich neu schuldig macht durch die Verlogenheit seiner Politik!